Wussten Sie, dass 2022 etwa 2.500 Menschen im Straßenverkehr ihr Leben verloren haben? Im gleichen Zeitraum haben sich über 9.000 Menschen selbst das Leben genommen. Für den Führerschein machen wir eine Erste-Hilfe-Ausbildung. Und für die Seele in Not?
Die Idee, auch einen Ersthelfer-Kurs für seelische Krisen und Gefahrensituationen anzubieten, ist nicht neu. Es gibt auf der Welt schon verschiedene Konzepte. Sie setzen meist auf die Vermittlung von Expertenwissen um psychiatrische Störungsbilder. Ersthelfer sollen auf diese Weise psychische Störungen bei Menschen in ihrer Umgebung identifizieren, um dann spezifisch handeln zu können.
Einen anderen Weg geht das noch recht junge Projekt „Hilfe in Seelischer Not“ (HSN). Es soll bayernweit Handlungskompetenz vermitteln, die auf einer Fähigkeit beruht, die jeder Mensch hat: das Mitgefühl. Am 10. Oktober, dem Welttag der Seelischen Gesundheit, stellten die HSN-Protagonisten, Prof. Dr. Berthold Langguth und Prof. Dr. Martin Schecklmann, im Rahmen einer „Speed“-Schulung am Regensburger Bezirksklinikum Partner:innen aus dem psychosozialen Netzwerk, aus Jugendämtern, Schulen und anderen Einrichtungen das Programm vor.
Intuition statt Diagnose
Prof. Schecklmann, Leiter des Zentrums für Neuromodulation an der medbo Regensburg, führte anfangs eine einfache Übung durch. Er fragte das Publikum zu seiner konkreten Einschätzung der spezifischen „seelischen Notlage“ bei verschiedenen Szenen, etwa einem orientierungslosen Senior auf der Straße oder einem Menschen in totaler Rage. „Bei dieser Übung stellt sich fast immer heraus, dass das Publikum sehr gut in der Lage ist, eine realistische Einschätzung der für seelische Notlagen typischen Emotionen Trauer, Angst und Wut zu treffen“, sagt Prof. Schecklmann.
Das Bauchgefühl sei hier ein verlässlicher Indikator. „Aber ebenso wichtig ist, dass wir uns dann nicht abwenden, sondern hinschauen zum anderen Menschen. Auch wenn wir vielleicht erst einmal verunsichert sind“, ergänzt Prof. Dr. Berthold Langguth, Chefarzt der Psychiatrischen Institutsambulanz und stellvertretender Direktor der Klinik für Psychiatrie & Psychotherapie am medbo Bezirksklinikum Regensburg.
Richtig helfen
Dieser erste Schritt – Hinschauen – ist nicht immer einfach, denn hohe Emotionalität in seelischer Not kann den Ersthelfer auch verunsichern. Gerade, wenn die Notlage des anderen dramatisch ist, vielleicht sogar bedrohlich. Was soll man als Ersthelfer genau tun? Der Rat der Spezialisten: Die Person ansprechen, oder besser: Gesprächsbereitschaft signalisieren.
„Sprechen“ ist der zweite wichtige Punkt im HSN-Konzept. „Bei Angst brauchen wir Menschen Schutz und Sicherheit, bei Traurigkeit Beistand und Trost, bei Wut brauchen wir ein Stück weit auch unseren Freiraum. Zeigen Sie, dass Sie da sind, und vor allem, dass Sie zuhören können“, so Prof. Schecklmann.
Im Gespräch sollte man sich auch durchaus trauen nachzuhaken: Will sich der Mensch in Not etwas antun, hat er gar Suizidgedanken? Wenn Gefahr im Verzug ist, dann ist Handeln wichtig – der dritte Punkt bei HSN ist das N für „Netzwerken“ im Sinne von: die richtigen weiteren Stellen ins Boot holen.
Richtig Hilfe holen
„Als Ersthelfer bin ich kein psychiatrischer Experte. Deshalb ist es wichtig, dass man sich grundsätzlich ein paar Kenntnisse über Hilfsangebote zulegt. Sinnvoll in Notlagen sind auf jeden Fall die Telefonnummern der Integrierten Rettungsleitstelle 112 oder die 110 der Polizei. Ebenso wichtig und sinnvoll ist der Kontakt zum Krisendienst Bayern (0800/655 3000), der rund um die Uhr für Menschen in psychosozialen Notlagen zur Verfügung steht – auch für Helfer übrigens“, rät Prof. Schecklmann. Aber auch der Weg zu einer psychiatrischen Notaufnahme ist möglich, wenn tatsächlich Gefahr in Verzug ist.
Wissen vermitteln
Das Projekt HSN konzentriert sich derzeit sehr auf die direkte Vermittlung der Ersthelfer-Kompetenz bei jungen Menschen und Senioren. „Aber wir werden bald in eine Projektphase übergehen, in der wir Kursleiter schulen. Wir hoffen darauf, dass viele Stellen und Einrichtungen, die mit jungen und alten Menschen zu tun haben, uns ansprechen! Unsere Kursleiter kommen gerne vor Ort zur Schulung von pädagogischen und pflegerischen Fachkräften, von Polizei, Rettungsdiensten und Vereinen – und wer immer dieses Wissen erlernen und vermitteln möchte“, schließt Berthold Langguth.
HSN wurde im November 2022 ins Leben gerufen. Ausführend sind der Lehrstuhl für Psychiatrie & Psychotherapie der Universität Regensburg (Prof. Dr. Rainer Rupprecht) sowie das medbo Bezirksklinikum Regensburg. Gefördert wird HSN durch das Bayerische Staatsministerium für Gesundheit und Pflege.