Regensburg, den 26. September 2023 Ein schwerer Autounfall oder ein plötzlicher Schlaganfall – und im Bruchteil einer Sekunde ist alles anders. Auch bei „Glück im Unglück“ kann das Nervensystem immens geschädigt werden. Bis hin zur Lähmung des Bewegungsapparats oder gar der Atemmuskulatur. Der Betroffene wird zum Intensiv-Patienten und bleibt es oft auch. Selbst nach stationärer Akutbehandlung und Reha sind laut aktuellen Erhebungen bundesweit rund 30.000 Menschen auf eine maschinelle Beatmung oder einen dauerhaften Zugang zur Luftröhre angewiesen. „Wir müssen alle Möglichkeiten voll ausschöpfen, um hier zu helfen“, sagt Franz Löffler. Für den Bezirkstagspräsidenten ist der Bezirk Oberpfalz mit seinem psychiatrischen und neurologischen Versorgungsauftrag in besonderer Verantwortung: „Es geht schließlich nicht nur um Teilhabe, sondern vor allem um ein Mindestmaß an Lebensqualität.“ medbo Vorstand Dr. Hausner ergänzt: „Dabei hätten viele dieser Menschen sehr gute Chancen, teilweise oder gar vollständig wieder wortwörtlich aufatmen zu können.“ Genau hier setzt eine bayernweite klinische Studie an. Das Projekt „Optimierung der nachklinischen Intensivversorgung bei neurologischen Patienten“ (OptiNIV) wurde durch Prof. Andreas Bender an der Ludwig-Maximilian-Universität München und am Therapiezentrum Burgau initiiert. Die Klinik für Neurologie der Universität Regensburg am medbo Bezirksklinikum bildet für den Raum Ostbayern das zuständige Studienzentrum. Projektleiter vor Ort ist Prof. Felix Schlachetzki, Chefarzt des medbo Zentrums für Vaskuläre Neurologie & Intensivmedizin.
Neuartige Versorgungs-Schnittstelle
Ist nach dem Klinikaufenthalt maschinelle Beatmung weiterhin notwendig, greift aktuell die sogenannte außerklinische Intensivpflege (AIP) – umgangssprachlich auch Beatmungs-WGs genannt. „In der ambulanten Versorgung fehlt es aber leider sehr oft an speziell geschultem Personal“, sagt Schlachetzki. Um die Fortschritte während der stationären und rehabilitativen Behandlung zu erhalten oder im Idealfall die Genesung zu erreichen, brauche es aber Spezialisten. „Fachärzte, Spezialtherapeuten und auf Neuro-Reha spezialisierte Pflegekräfte, die als interdisziplinäres Team an einem Strang ziehen“, betont der Chefarzt. Denn jeder Fortschritt sei ein Zugewinn an Lebensqualität. Die Patienten wären nicht nur mobiler, sondern könnten vielleicht auch wieder reden oder gar essen. Durch die Studie soll eine übergreifende Zusammenarbeit zwischen stationärer, neurorehabilitativer und AIP-Versorgung untersucht, Versorgungslücken entdeckt und die Betreuung verbessert werden. Denn das Ziel steht fest: Die Erfolgsraten für Beatmungs-Entwöhnung genauso wie für den Verschluss eines dauerhaften Zugangs zur Luftröhre (Dekanülisierung) erhöhen.
Zertifiziertes Weaningzentrum in Regensburg
Aktuell werden bayernweit 67 Patienten der Studiengruppe von ambulanten Spezialteams betreut, davon 22 durch die medbo in Ostbayern. Diese Teams werden von Kliniken wie der medbo gebildet, die Kompetenz im Bereich der neurorehabilitativen Frühreha mitbringen. Das medbo Zentrum für Vaskuläre Neurologie & Intensivmedizin ist unter anderem auf besonders schwere Reha-Fälle (Phase B) spezialisiert. Im August 2022 wurde das Team der Station 14b zudem als sogenanntes „Zentrum für Beatmungsentwöhnung in der neurologisch-neurochirurgischen Frührehabilitation“ zertifiziert. Dieses Siegel wird erst seit kurzem von der Deutschen Gesellschaft für Neurorehabilitation (DGNR) vergeben und bestätigt besondere Kompetenzen. So ist das Stationsteam darauf geschult, individuelles Entwöhnungspotential langzeitbeatmeter Patienten zu ermitteln, um die Entwöhnung – in Fachsprache auch „Weaning“ genannt – zum frühest- und bestmöglichen Zeitpunkt einleiten zu können. „Je länger die Beatmung andauert, umso schwieriger wird es, sie zu beenden“, erklärt Prof. Schlachetzki.
Untersuchen, koordinieren, entwöhnen
„Im Rahmen der Studie besuchen wir die beatmeten Studien-Teilnehmer regelmäßig in den spezialisierten Pflegeeinrichtungen, den AIPs, und führen dort Untersuchungen durch. Zudem koordiniert das Team – eine Ärztin, eine Logopädin und eine Intensivpflegekraft der Station 14b – das therapeutische Konzept“, erläutert der medbo-Projektleiter. Ärzte oder ambulante Pflegedienste vor Ort erhalten dadurch sogenannte Managed-Care-Pläne.
Je nach Patient kann darüber hinaus im einjährigen Studienzeitraum jederzeit ein strukturiertes stationäres Assessment durchgeführt werden. Dazu werden die Patienten kurzzeitig stationär in der Rehabilitationsklinik aufgenommen: „Wenn wir dabei feststellen, dass die Entwöhnung von der Beatmungsmaschine oder von der Trachealkanüle realistisch umsetzbar ist, können wir eine rund dreiwöchige stationäre Wiederholungsrehabilitation an der medbo durchführen.“ Hierbei liegt ein besonderes Augenmerk auf alltägliche Aktivitäten: vor allem Schlucken und Sprechen. Denn auch diese Grundbedürfnisse können nach langen Beatmungsphasen beeinträchtigt sein. Gleichzeitig gilt es neurologische, neurochirurgische und internistische Komplikationen zu vermeiden, wie etwa eine Lungenentzündung.
Bewegender Blick über Tellerrand
„Ihr Vorhaben bewegt“, sagt Bezirkstagspräsident Franz Löffler während der Projektvorstellung, „umso mehr bin ich davon überzeugt: Genau solche neuen Wege müssen wir einschlagen!“ Denn er sieht nicht nur die bürokratischen Barrieren im deutschen Gesundheitssystem aktuell noch zu groß. „On-top kommt der Mangel an Spezialisten für solche Intensivfälle, vor allem in ländlichen Raum.“ Dass die medbo in der Rehabilitation von Beatmungspatienten erneut eine Vorreiterrolle einnimmt und die Spezialversorgung zu den Menschen vor Ort bringt, freut ihn natürlich besonders. „So eine Versorgungskette findet man bundesweit selten. Von der Akutbehandlung bis hin zur Rehabilitation ist unsere Klinik für Neurologie am Bezirksklinikum Regensburg hochkompetent ausgerichtet.“ Mit Forschungsprojekten wie OptiNIV würden die medbo und die Universität Regensburg nicht nur dafür sorgen, dass das auch künftig so bleibt, „sondern vielmehr einen wesentlichen Beitrag zur ziel- und zukunftsgerichteten Weiterentwicklung der Patientenversorgung leisten.“
Weitere Informationen zur klinischen Studie finden Sie unter optiniv.de.