Die Zeit danach

Depression im Alter: Begegnung mit einer Patientin des Zentrums für Altersmedizin Regensburg.

In der Klinik kann älteren Patient:innen mit Depressionen in aller Regel gut geholfen werden. Aber wesentlich ist auch die Frage: Was kommt danach?

Frau K. ist 78 Jahre alt. Eine gepflegte Dame im lindgrünen Kaschmirpulli und grauer Flanellhose, die silbernen Haare ordentlich frisiert. Auch ein wenig Lippenstift trägt sie. Ihr Alter sieht man ihr nicht an – und auch nicht die Erkrankung, deretwegen sie derzeit stationär im Zentrum für Altersmedizin am Bezirksklinikum Regensburg behandelt wird. Frau K. hatte schwere Depressionen. Nach sechs Wochen Aufenthalt steht sie kurz vor der Entlassung und die Rückkehr nachhause.

Was vom Leben übrig bleibt

Ihr Zuhause ist ein Gutshof in der Nähe von Schwandorf, den sie ein Leben lang mit ihrem Mann bewirtschaftet hat. Aber das ist schon lange her, denn die beiden sind „im Austrag“. Auch wenn es kein eigentlicher „Austrag“ ist, denn die Kinder wollen den Hof nicht übernehmen. Deshalb haben sie und ihr Mann die Bewirtschaftung aufgegeben. Die Wiesen und Äcker sind verpachtet, die Ställe sind leer.

Frau K. war immer Hausfrau und Mutter, hat den „Laden zuhause alleine geschmissen“. Jetzt ist da dieses leere Haus, das eigentlich viel zu groß für sie und ihren Mann ist. Und trotzdem ist es ihr Anspruch, weiterhin alles tiptop zu halten. „Die viele Arbeit hat mir nie etwas ausgemacht. Aber irgendwann habe ich gespürt, dass ich das alles nicht mehr so schaffe wie ich möchte“ erzählt Frau K.

Ihr Mann sei Zeit seines Lebens passionierter Jäger gewesen, aber nun machten die Beine nicht mehr so gut mit und er höre schlecht. Jetzt sei er den ganzen Tag zuhause bei ihr und „erklärt mir, wie ich den Haushalt machen soll“. Das sei nervig – sie denkt es mehr als dass sie es sagt. Ausgehen, Ausflüge machen, Freunde besuchen: Frau K. hat keinen Führerschein und der Hof liegt irgendwo im Nirgendwo. „Und mein Mann mag eh lieber daheim bleiben“.

Die schleichende Traurigkeit

Die Symptome kamen langsam, fast heimlich, erzählt sie. Irgendwie hat sie es gar nicht gemerkt, dass sie sich immer mehr in sich zurück zog, keine Lust mehr auf ihre Hobbies hatte, ihr Engagement in der Kirche aufgab. Mattigkeit, schlechter Schlaf, wenig Appetit. Es hätte auch eine hartnäckige Grippe sein können. Sie lässt den Haushalt schleifen und das macht sie erst noch unglücklicher, dann ist es ihr egal. Die Auseinandersetzung mit ihrem Mann scheut sie – sie hat ein Leben lang immer eher zurückgesteckt, wenig für sich selbst gefordert. Wenn die Kinder anrufen oder zu Besuch kommen, freut sie sich zwar. „Ich tu halt über Not. Es soll sich keiner Sorgen machen, weil ja eh nichts ist“. Eine tiefe Sinnlosigkeit befällt sie. „Wozu das alles – es ist ja eh bald vorbei“.

Es war ihre Tochter, der zuerst auffiel, dass mit der Mama etwas nicht stimmt. Sie bringt sie zum Hausarzt. Und diesem ist schnell klar: Es nicht die Grippe – Frau K. hat eine schwere depressive Krise. Dann kam der stationäre Aufenthalt bei der medbo in Regensburg und brachte die Wende.

Das Leben wiederfinden

„Natürlich war ich skeptisch. Man hört ja immer so allerhand. Dass man bloß Medikamente bekommt und so“ – Frau K. ist ehrlich. Aber schnell stellt sie fest, dass ihr die Antidepressiva tatsächlich helfen, dass sie wieder Energie und Ausgeglichenheit gewinnt. Und dass es Dinge gibt, die ihr richtig Spaß machen.

Schnell hat sie sich mit Mitpatient:innen bekannt gemacht. Sie gehen gemeinsam Spazieren, spielen abends Karten oder plaudern. Die Gespräche in der Gruppentherapie sind wichtig für sie. Die Erkenntnis, dass sie nicht allein ist mit ihrer Erkrankung, hilft ihr, sich wieder ihrer Umwelt zuzuwenden. Überhaupt: Dass sie krank ist und nicht „spinnt“ – das erleichtert ihr den Umgang mit der Depression sehr. Und die Lebensgeschichten der anderen Patientinnen und Patienten ähneln oft ihrer eigenen. „Und dann wieder höre ich Sachen von den anderen, da denke ich mir wieder, wie gut ich es doch habe“.

In der Sporttherapie entdeckt sie Nordic Walking für sich. „Ich halte noch nicht lange durch, aber das Laufen in der Gruppe tut mir gut“. Und in der Ergotherapie findet sie zum Malen und zum Basteln – sie deutet auf eine hübsche grüne Perlenkette um ihren Hals, die sie selbst gemacht hat.

Die Rückkehr nach Hause

In ein paar Tagen steht die Entlassung nachhause an. Frau K. freut sich einerseits. Aber andererseits hat sie „Bammel“. Daheim ist ja alles noch so wie vorher. Die Klinik wird sie aber nicht alleine lassen. Stefan Dachs, Fachpfleger im Zentrum für Altersmedizin, wird sie regelmäßig zuhause besuchen und nachschauen, ob alles in Ordnung ist. „In Ordnung“ heißt nicht nur, ob Frau K. ihre Medikamente weiterhin nimmt und ihre seelische Verfassung stabil ist.

Dachs spricht auch mit Herrn K. und vor allem mit der Tochter und dem ältesten Sohn. „Die Familie ist super wichtig: Ehegatten, Kinder und überhaupt alle, mit denen die Patientin regelmäßig Kontakt hat, sind künftig das Frühwarnsystem, falls es Frau K. wieder schlechter gehen sollte“. Dazu gehört Aufklärung, was es mit Frau K.s Erkrankung überhaupt auf sich hat.

Ressourcen entdecken und nutzen

Noch wichtiger ist, dass Pfleger Dachs schon während ihres Klinikaufenthalts mit Frau K. gemeinsam erarbeitet hat, welche Ressourcen sie in ihrem Leben hat und künftig aktiv nutzen kann. Mit Nordic Walking weiter zu machen, ist eine gute Sache. Aber sie möchte das nicht alleine machen. 
Gemeinsam mit Stefan Dachs entwickelt Frau K. die Idee, dass sie sich einmal in der Woche mit zwei Nachbarinnen treffen wird. „Die leben auch außerhalb vom Dorf und kommen nicht unter die Leute. Aber die eine kann Auto fahren“. Die Tochter wird künftig zweimal pro Woche einen Nachmittag mit ihrer Mutter verbringen. Dann werden sie Spazieren gehen oder ein wenig „garteln“. Mit ihrem Mann hat sie vereinbart, dass sie eine Putzhilfe bekommt und dass er sie ab und zu nach Schwandorf fährt. „Nur so zum Bummeln oder zum Frisör“ – Frau K. lächelt spitzbübisch.

Der Gerontopsychiatrische Besuchsdienst

Wir sehen den Menschen als Ganzes: Geist, Körper und Seele. Unsere zuhause betreuten ambulanten Patientinnen und Patienten werden durch uns entsprechend in einem ganzheitlichen Ansatz in ihrer Selbstständigkeit gefördert. Je nach Ressourcen unterstützen, begleiten und betreuen wir unsere Senioren, bis ein Grad der Selbstständigkeit erreicht ist, der ihnen wieder ein zufriedenes Leben ermöglicht. Wir beziehen die Angehörigen mit ein und beraten diese gemeinsam mit den Patient:innen, wenn diese dies wünscht.

Wir bieten:

  • Regelmäßige Hausbesuche nicht zuletzt zur Beobachtung des Krankheitsverlaufs 
  • Entlastungs- und Orientierungsgespräche
  • Hilfsbedarfsplanung und Unterstützung bei der Bewältigung von 
  • Alltagsanforderungen
  • Krisenintervention und Vermittlung von Bewältigungsstrategien
  • Individuelle Planung und Durchführung von Aktivierungsmaßnahmen, etwa zur sinnvollen Freizeitgestaltung und Gesunderhaltung unter Berücksichtigung von Fähigkeiten und Fertigkeiten
  • Hilfe bei der Tages- und Wochenstrukturierung
  • Information, Beratung und Anleitung von Angehörigen 
  • Hilfe bei der Medikamenteneinnahme
  • Anregung und Abstimmung therapeutischer, pflegerischer und ergänzender Maßnahmen
  • Zusammenarbeit mit Hausärzten 
  • Kontaktaufnahme und Kooperation mit anderen Diensten, Fachpersonal und Institutionen

Beim Erstbesuch erstellen wir eine pflegerische Anamnese, wobei wir die Vorbefunde erfassen und den psychiatrischen Befund feststellen. Bei den Folgebesuchen steht der Aufbau einer vertrauensvollen therapeutischen Beziehung im Vordergrund. 

Wir interessieren uns für unsere Patientinnen und Patienten. Durch den regelmäßigen Kontakt mit ihnen fällt es uns meist nicht schwer, viel über ihre Lebensgeschichte zu erfahren, über Situationen, die schwierig waren, aber auch über gute und gelungene Momente – diese Erlebnisse und Erinnerungen sind für sie und uns eine wichtige Ressource und unterstützen uns bei der Planung der weiteren Behandlung.

Kontakt

Gerontopsychiatrischer Besuchsdienst des Zentrums für Altersmedizin 
medbo Bezirksklinikum Regensburg
Universitätsstraße 84 | 93053 Regensburg
Fon+49 (0) 941/941-2900  |  23a-psy-r@medbo.de

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