Die Tage werden wieder länger. Endlich. Vor allem die Umstellung von Winter- auf Sommerzeit bringt eine ganze Menge Tageslicht zurück in den Alltag. Doch plötzlich fehlt eine Stunde. Das ist nicht ohne. Laut einer Forsa-Umfrage klagen acht von zehn Personen über Müdigkeit und fühlen sich schlapp. Die Hälfte der Befragten leidet unter Einschlaf- und Konzentrationsproblemen. Jeder Dritte startet mit gereizter Stimmung in den Tag. Eine weitere Studie hat sogar gezeigt: In den ersten drei Arbeitstagen nach der Zeitumstellung, steigt die Häufigkeit von Schlaganfällen (um 8 Prozent) und Herzinfarkten (um 20 Prozent) auffällig an. An der Uhr zu drehen ist für viele Stress pur. Kein Wunder: „Die innere Uhr kommt durcheinander. Ähnlich wie beim Jetlag“, weiß Dr. Markus Wittmann, ärztlicher Direktor des medbo Bezirksklinikum Wöllershof. Es dauert normalerweise einige Tage, bis Körper und Geist sich an die Zeitumstellung gewöhnt haben. In Einzelfällen auch länger. Doch mit dem richtigen Verhalten können auch die inneren Uhrzeiger schnell in der Sommerzeit ankommen.
Wettrennen mit Säbelzahntigern
„Stress ist erstmal nichts Schlechtes“, sagt der Psychiater. „Evolutionsbiologisch haben Stresszustände dem Menschen beim Überleben geholfen.“ Die ausgeschütteten Hormone sorgen für einen Energiekick im Körper, für begrenzte Zeit ist mehr Leistung möglich. Vor vielen tausend Jahren war das entscheidend, um vor hungrigen Säbelzahntigern zu fliehen. Die heutigen Stressauslöser sehen anders aus. Viele E-Mails, lange Lerntage, im Stau stecken. „Solche Stressoren sind mittlerweile Alltagserscheinungen. Dadurch gibt es weniger Stress-Spitzen, sondern vielmehr ein kontinuierlich hohes Stressniveau.“ Doch Stressabbau ist heute deutlich schwerer als damals. „Beim Weglaufen vor einem Raubtier wird die vom Stress freigegebene Energie nicht nur gebraucht, sondern vor allem auch verbraucht. Im Büro oder hinterm Steuer ist das schlecht möglich.“ So würden sich Stressauswirkungen schnell anstauen. „Das macht auf Dauer auch krank.“
Blockade für’s Gehirn
Denn Dauerstress wirkt sich nicht nur auf das Herz-Kreislaufsystem ebenso wie auf das Immun- und Nervensystem aus, die wiederum eng mit der Verdauung zusammenhängen. „Die Gehirnplastizität wird eingeschränkt. Es können also weniger neue Nervenverbindungen gebildet werden. Gleiches gilt für die Regenerationsfähigkeit unseres Gehirns.“ Entsprechend breit sind die Symptome gefächert: „Das geht von Kopfschmerzen bis zu Verdauungsschwierigkeiten.“ Dass Stress auf den Magen schlägt ist also nicht nur eine Redewendung. „Es können sich daraus auch psychosomatische Erkrankungen entwickeln mit psychischen und körperlichen Beschwerden.“ Umso wichtiger ist es, vorzubeugen. Durch Entlastung für Körper und Geist. „Glücklicherweise hat sich unser gesamtgesellschaftliches Bild von Stress und vor allem psychischen Erkrankungen in den letzten Jahren stark geändert. Je mehr man es auf dem Schirm hat, desto früher kann dagegen gesteuert werden.“
10 Minuten gegen den Stress
Einfacher gesagt als getan. Stressvermeidung verlangt in der Regel nach einer Veränderung der Lebensgestaltung. Das kann zur Herausforderung werden, vor allem für Gewohnheitstiere. Dr. Wittmann gibt Entwarnung: „Eine 180-Grad Wende ist in der Regel nicht notwendig. Es reicht schon, an mehreren kleinen Stellschrauben zu drehen“, versichert er. Ohnehin: Völlige Stressvermeidung ist unmöglich, wie der Psychiater weiß. „Und auch nicht nötig oder gar sinnvoll.“ Aber es gibt hilfreiche Maßnahmen, um sich vor ausufernden Stressniveaus zu schützen. Sport und körperliche Bewegung zum Beispiel. Auch eine ausgewogene Ernährung würde dazu beitragen. „Entspannungs- und Achtsamkeitsübungen können aber auch sehr gute Erfolge bringen.“ Den Alltag ganz bewusst eine Zeit lang vorbeiziehen lassen: „Das können Meditationsübungen sein. Es reicht aber auch schon, sich einfach mal 10 Minuten darauf einzulassen, einen Alltagsgegenstand so genau wie möglich zu beobachten und zu beschreiben.“ Solche Ventile zur geistigen Erholung könnten überraschend niedrigschwellig sein. Auch Alltagsgestaltung spielt eine Rolle: „Schlaf ist beispielsweise unglaublich wichtig für unsere Erholung.“ Dabei geht es nicht nur darum wieviel wir schlafen, sondern auch wie gut wir schlafen. „Bessere Schlafhygiene kann die Qualität unserer nächtlichen Ruhephasen deutlich erhöhen.“ Nicht zu unterschätzen seien auch soziale Kontakte, die einen wesentlichen Stressausgleich darstellen können. Ein Aber gibt es jedoch auch. „All diese Punkte sind eher präventiv. Gerade Entspannungsübungen lassen sich unter Dauerstress nur schlecht gewinnbringend durchführen. Und soziale Kontakte sind oft eines der ersten Opfer, wenn der Stress überhandnimmt.“
Hausarzt als erste Anlaufstelle
Was also tun, wenn alles bereits über den Kopf wächst? „Der erste und entscheidende Schritt ist es sich zuzugestehen“, appelliert Dr. Wittmann. „Dann ist der Hausarzt ein guter erster Ansprechpartner. Entsprechende Erstbehandlungen zeigen erwiesenermaßen oft schon gute Wirkung.“ Wenn aus dem Symptom „Stress“ aber eine Diagnose wie Depression oder Panikstörung wird, ist eine Überweisung notwendig. Je nach Ausprägung an eine ambulante Facharzt-Praxis oder in eine stationäre oder teilstationäre Weiterbehandlung. Im medbo Bezirksklinikum Wöllershof erhalten die Patienten von Anfang an eine ganzheitliche Behandlung: „Wir arbeiten vor allem im Bereich Psychosomatik viel mit Gesprächstherapien in Einzel- und Gruppensitzungen. Zudem können wir die Behandlung gleichzeitig auch mit entsprechenden Medikamenten und Zusatz-Therapien unterstützen. Das ist enorm wertvoll.“ Sport-, Ergo- oder Lichttherapie würden es ermöglichen, Stress und seine ganzheitlichen Symptome auf allen Ebenen anzugehen.
Tipp zur Zeitumstellung: Kontrolle übernehmen
Damit die kommende Zeitumstellung nicht zur Zerreisprobe für Körper und Geist wird, rät Dr. Wittmann ganz klar: Nicht stressen lassen! „Es ist normal, dass der Schlaf nicht immer perfekt ist, Körper und Geist können Schlafdefizite aber in der Regel wieder wett machen. Zumindest am nächsten Wochenende.“ Eine Veränderung der Zubettgeh-Zeit könnte die negativen Effekte zudem gut abpuffern. Vor allem bei denjenigen, die bereits an den Tagen vor der Zeitumstellung damit starten.