Mental load: Mütter am Rande der Belastungsrenze

medbo-Chefärztin Dr. Julia Prasser über Rollenbilder und Familienstrukturen

Ein Kind zu bekommen ist eines der wertvollsten Geschenke im Leben, gleichzeitig eine der größten Herausforderungen unserer Zeit. Wenn ein Kind entsteht, sind Männer und Frauen in der Regel gleichberechtigt beteiligt. Aber wie steht es nach der Geburt mit der Sorge um das Kind und den gemeinsamen familiären Alltag? 

Während sich viele kinderlose Frauen im Rahmen ihrer beruflichen Entwicklung im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen zunehmen gleichberechtigter fühlen (Gender pay gap wird immer kleiner), spüren die meisten Mütter nach der Geburt des ersten Kindes wenig Gleichberechtigung. Zum einen fallen sie in der Regel beruflich aus, um das Kind zu versorgen und können im Anschluss nur in Teilzeit wieder einsteigen. Das bedeutet im Vergleich zu den männlichen Kollegen in Vollzeit einen deutlichen Einbruch der Karrierechancen. Zum anderen bleiben sie alleine auch nach dem Ende der Elternzeit für einen Großteil der Fürsorge und Familienorganisation zuständig. 

Rollenbilder gestern und heute
Dass Paare sich in einer Familie die Aufgaben gerecht aufteilen, sollte aber doch eigentlich selbstverständlich sein. Im alten, vorwiegend in Westdeutschland verankerten Verständnis einer Familie, kümmert sich der Ehemann um die Finanzen durch berufliche Einkünfte und um klassisch als männlich geltende Aufgaben (handwerkliche Tätigkeiten, …). Die Ehefrau sorgt für Kinder und Haushalt. Ist das noch zeitgemäß in einer Gesellschaft, in der Frauen und Männer gleichwertig ausgebildet werden, sich klassische Rollenbilder langsam öffnen und der Lebensunterhalt auch oft nur durch die Gehälter beider Partner zu finanzieren ist? 

Was bedeutet das nun konkret für die aktuelle Situation der Arbeitsteilung in Familien? Laut Untersuchung des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der Hans-Böckler-Stiftung liegt die Wahrscheinlichkeit, den größten Anteil der notwendigen Alltagsaufgaben im Haushalt zu planen, zu organisieren und an sie zu denken, für Frauen bei 62 Prozent, für Männer bei lediglich 20 Prozent. Im Kontext der Alltagsorganisation findet der Begriff mental load, also die „mentale Belastung“, zunehmend Beachtung. Darunter versteht man die Belastung, die durch das ständige unsichtbare Denken, Planen, Terminieren und Organisieren von notwendigen Alltagsaufgaben entsteht. Dazu kommt das belastende Gefühl sich um alle Familienangelegenheiten kümmern zu müssen bzw. dafür verantwortlich zu sein. Großteils übernehmen die Frauen diese unsichtbaren Planungs- und Koordinationsaufgaben zusätzlich zu ihrer Erwerbstätigkeit (auch bei kinderlosen Paaren). Das heißt es geht hier nicht nur um das „bisschen Haushalt“, das sich ja faktisch von allein macht, sondern um komplexe Organisationsstrukturen. Gerade das ist typisch bei Familien mit Kindern, deren Alltag dem eines Managers/in nicht unähnlich ist, nur eben ohne Sekretär/Sekretärin abgewickelt werden muss. Was die Verteilung von Care-Aufgaben und Organisation in den Familien betrifft, sind die meisten Familien im Alltag also von Gleichberechtigung noch weit entfernt. Männer wie Frauen müssen sich neuen Anforderungen stellen, denn die Gesellschaft befindet sich in einem großen Wandel mit vielen unbekannten Herausforderungen. 

Wenn Verschnaufpausen fehlen
Eine Woche mit Kindern planen, deren schulische Aufgaben, Sport/Musikunterricht, Geburtstagseinladungen, Arztbesuche, … koordinieren, akute Sorgen und Nöte (auch nachts) abfangen, Einkaufen, Kochen, Gartenarbeit, Freundschaften und Partnerschaft pflegen, einer beruflichen Tätigkeit nachgehen, …. 
Bereits die Auflistung der täglichen „to-do's“, treibt einem den Schweiß auf die Stirn, ist nicht nur mental, sondern auch körperlich belastend, bei gleichzeitig oft mangelnder Wertschätzung. Dauerhaft kann das keiner unbeschadet schaffen, wenn parallel Möglichkeiten für Verschnaufpausen im Alltag fehlen. 

Ein anhaltend hoher mental load kann daher krankmachen. Die Folgen können sowohl körperliche, als auch psychische Beschwerden sein. Angefangen mit Konzentrations- und Gedächnisstörungen, Schlafproblemen, Erschöpfung, innerer Unruhe, Nervosität, Reizbarkeit, An/Verspannungen, Kopf-, Rücken-, und Muskelschmerzen, bis zu Magen-Darmbeschwerden, Zyklusbeschwerden, häufige Infekt-Neigung, Gewichtsveränderungen, Tinnitus, Migräne, Haarausfall, hohem Blutdruck und bis hin zu Herzrhythmusstörungen führen. Im schlimmsten Fall können sogar Angsterkrankungen oder Depressionen entstehen. 

Was braucht es jetzt, um den mental load zu verringern? 
Es ist notwendig, weiße Flecken auf den Landkarten der Familienstrukturen aufzudecken und unsichtbare, unbezahlte, gleichzeitig aber anstrengende Aufgaben sichtbar zu machen und gerechter aufzuteilen (equal care day). Gleichzeitig ist auch wichtig, sich von der perfekten Mutter-Frauenrolle, die es nur in den Medien gibt, zu verabschieden und mehr einem realistischen Frauenbild ohne Selbstoptimierungszwang zu folgen. Auch sollten Aufgaben wirklich abgeben und nicht weiter überprüft und beanstandet werden. Sonst geht willigen Helfern im Alltag schnell die Motivation zur Partizipation verloren und der mental load kann auch nicht signifikant reduziert werden. Zudem ist wichtig Auszeiten für Sport, Entspannung, eigene Bedürfnisse in den Alltag genauso einzuplanen, wie Termine für die Kinder oder den Partner. 

Zusammenfassend funktioniert Familie damals wie heute nur gemeinsam. Es ist wichtig alle Familienmitglieder an den Familien(alltags)tisch zu bringen, sie gleichermaßen mit einzubeziehen und an den familiären Aufgaben zu beteiligen. Dadurch können alle ihren wichtigen und einzigartigen Betrag zu einem gesunden Familienleben leisten.