Gehirnstimulationen haben in der Behandlung psychischer Erkrankungen eine lange Tradition. Vielen Menschen kommt als Erstes die Elektrokonvulsionstherapie in den Sinn, die seit über 80 Jahren bei der Behandlung schwerer depressiver Störungen zum Einsatz kommt. In den letzten Jahrzehnten wurden weitere vielfältige, dabei besonders sanft wirksame Gehirnstimulationsverfahren entwickelt.
Psychische Erkrankungen sind funktionelle Gehirnerkrankungen: Wann immer eine Störung im Bereich der Wahrnehmung oder Bewegungssteuerung, aber auch im Bereich des Denkens, Fühlens oder Handelns besteht, finden sich entsprechende Veränderungen in der Gehirnfunktion. Diese Zusammenhänge konnten in den letzten Jahrzehnten durch neuartige neurowissenschaftliche Methoden immer genauer untersucht werden.
Dank Techniken wie zum Beispiel der funktionellen Kernspintomographie ist es möglich, Gehirnaktivität zu messen und so kann man quasi „dem Gehirn bei der Arbeit zuschauen“. So wissen wir mittlerweile, welche Veränderungen im Bereich der Nervenzellen den verschiedenen Symptomen zugrunde liegen. Beispielsweise ist bekannt, dass bei Angstsymptomatik der Mandelkern in der Tiefe des Gehirns stark aktiviert ist und gehirninterne Kontrollmechanismen nicht ausreichen, um diese Aktivität wieder in den Normalbereich zu bringen.
Oder wenn Patient:innen im Rahmen einer schizophrenen Erkrankung Stimmen hören, dann ist das Areal des Gehirns, das für die Sprachwahrnehmung zuständig ist, übermäßig aktiv.
Wenn man von Nervenzellaktivität spricht, dann versteht man darunter elektrische Aktivität. Die elektrische Aktivität wird entlang der Nervenbahn (lateinsch „axon“) weitergeleitet und führt am Ende der Nervenzelle zur Freisetzung von chemischen Botenstoffen in die Synapse. Die Synapse ist der Spalt zwischen zwei Nervenzellen und dort erfolgt die Übertragung der Erregung auf die Nachbarnervenzelle. Dabei wirken die Botenstoffe auf die Nachbarnervenzellen, indem Kanäle in der Zellwand geöffnet werden, geladene Ionen einströmen und zur elektrischen Erregung der Nachbarzelle führen. So kann das Gehirn als ein „elektrochemisches Organ“ verstanden werden. Innerhalb der Nervenzelle erfolgt die Aktivierung elektrisch, die Weiterleitung zur nächsten Nervenzelle erfolgt über chemische Botenstoffe.
Dabei ist bedeutsam, dass bei den allermeisten psychiatrischen Erkrankungen lediglich Funktionsstörungen vorliegen. Das heißt, dass die Nervenzellen intakt sind, aber der Informationsfluss gestört ist. Das ist vergleichbar mit einer schlechten Telefonverbindung, bei der zwar beide Geräte intakt sind, aber dennoch der Informationsaustauch gestört ist.
Wenn es nun gelingt, die gestörte Gehirnaktivität zu normalisieren, dann bessern sich auch die Symptome der Patient:innen. Soll heißen: Wenn es gelingt, dass die Gehirnaktivität im Mandelkern abnimmt, nimmt auch die Angstsymptomatik ab, und wenn sich die neuronale Aktivität in der Sprachverständnisregion normalisiert, dann hört die Patient:in auch keine Stimmen mehr.
Wie kann es aber jetzt gelingen, die Gehirnaktivität zu beeinflussen? Grundsätzlich bestehen verschiedene Möglichkeiten, die Gehirnaktivität zu beeinflussen. Eine häufig angewandte Methode ist die Einflussnahme auf die Botenstoffe mithilfe von Medikamenten. Durch sie kann die Wirkung von Botenstoffen im Gehirn leicht beeinflusst werden, so dass diese entweder etwas verstärkt oder etwas abgeschwächt wirken. Dies führt dann zur Normalisierung der krankheitsbedingt veränderten Gehirnaktivität.
Es ist mittlerweile aber auch gut bekannt, dass psychotherapeutische Maßnahmen oder auch körperliche Bewegung (zum Beispiel im Rahmen der Sporttherapie) einen direkten Einfluss auf die Gehirnaktivität haben. Diese Verfahren wirken unter anderem durch Übungs und Lerneffekte.
Wenn die Nervenbahnen im Gehirn immer wieder auf ähnliche Weise aktiviert werden, dann spielen sich diese Aktivierungsmuster ein und können immer leichter abgerufen werden. In ähnlicher Weise wirkt auch die Gehirnstimulation. Der Unterschied besteht jedoch darin, dass die Lerneffekte nicht durch das Einüben von gewissen Verhaltensmustern vermittelt werden, sondern durch die direkte Nervenstimulation. Dabei nutzt man die elektrischen Eigenschaften von Nervenzellen aus. Wenn man von außen durch ein elektrisches oder elektromagnetisches Feld auf Nervenzellen einwirkt, kann man die Aktivierung von Nervenzellen beeinflussen.
Eine gewisse Schwierigkeit besteht dabei, die notwendige Elektrizität zu den betroffenen Gehirnarealen zu bringen, da sich das Gehirn gut geschützt im Schädelknochen befindet.
Eine Variante besteht darin, ein kleines Loch in die Schädeldecke zu bohren und eine feine Elektrode ganz gezielt im betroffenen Gehirnareal zu platzieren, die dann über ein Kabel mit einem Generator verbunden ist. Dieser wird ähnlich einem Herzschrittmacher unter der Haut implantiert. Diese Methode wird „Tiefe-Hirn-Stimulation“ genannt und wird in der Neurologie regelmäßig zur Behandlung der Parkinsonkrankheit eingesetzt. In der Psychiatrie findet das Verfahren in der Behandlung schwerer Zwangsstörungen ebenso seinen Einsatz.
Viel häufiger werden jedoch Verfahren eingesetzt, die von außen angewandt werden können und bei denen keinerlei operative Maßnahme erforderlich ist. Dabei handelt es sich um die transkranielle Magnetstimulation und um die transkranielle Elektrostimulation. Bei der Magnetstimulation wird durch eine stromdurchflossene Spule von außen ein starkes Magnetfeld erzeugt, das ohne wesentlichen Widerstand den Schädelknochen durchdringt und über das Prinzip der elektromagnetischen Induktion oberflächliche Nervenzellen aktiviert. Durch wiederholte Aktivierung dieser Nervenzellen kann eine nachhaltige Veränderung der Grundaktivität erzielt werden. So können zum Beispiel Gehirnareale, die im Rahmen der Depression minderaktiv sind, durch wiederholte Behandlungen nachhaltig aktiviert werden.
Bei der transkraniellen Elektrostimulation wird über großflächige Elektrodenschwämme über betroffenen Gehirnarealen eine Spannung angelegt. Diese Spannung führt je nach Polarität zu einer Erhöhung oder einer Verminderung der Erregbarkeit der betroffenen Gehirnareale. Auch hier erfolgen wiederholte Anwendungen, die zu einer dauerhaften Veränderung der krankhaft veränderten Gehirnaktivität führen können.
Die dargestellten Verfahren werden mittlerweile seit Anfang der Nuller-Jahre am Bezirksklinikum Regensburg erforscht und angewendet. Die transkranielle Magnetstimulation ist in den Kliniken in Wöllershof und in Cham ebenfalls verfügbar. Damit stehen den Patient:innen der medbo neben den klassischen Behandlungsverfahren der medikamentösen Therapie und der Psychotherapie auch neuartige hoch wirksame und gut verträgliche Spezialverfahren zur Verfügung.
Prof. Dr. Berthold Langguth ist Chefarzt der Psychiatrischen Institutsambulanz und des Zentrums für Allgemeinpsychiatrie II am Bezirksklinikum Regensburg
Tipp: In der medbo Mediathek und im medbo YouTube-Kanal finden Sie eine Ausgabe unseres Gesundheitsmagazins "Kopfsache" zum Thema "TMS"
Bildnachweis: Transkranielle Magnetstimulation in der Psychiatrischen Institutsambulanz der medbo Regensburg (Frank Hübler)