Gabi Frischholz, eine der Mitarbeiter:innen des neunköpfigen Sozialpädagogik-Teams, nimmt mich mit zum ersten Termin. Sie leitet an diesem Vormittag zwei Gruppentherapien. In der ersten Gruppe sind viele neue Patient:innen beteiligt. Aus diesem Grund verteilt Frischholz Fragebögen rund um das Thema Sucht. Es geht, so Frischholz, um Psychoedukation, das heißt Aufklärung über und Sensibilisierung für die eigene Krankheit. Im Stil von „Wer wird Millionär“ sollen die Therapieteilnehmer:innen im Team Fragen beantworten, wie etwa „Seit wann ist in Deutschland Sucht als Krankheit anerkannt?“ – a) 1957, b) 1968 oder c) 1985. (Die richtige Antwort lautet übrigens b). Alle arbeitet mit, so gut sie können.
Ein Patient macht sich wegen eines Termins bei der Agentur für Arbeit Sorgen. Er fühlt sich überfordert. Aufmerksam lauscht Gabi Frischholz seinen Anliegen und vermittelt sofort einen lösungsorientierten Ansatz. Das ist auch eine der Hauptaufgaben des Sozialdienstes: Die Patient:innen sollen sich nach der Behandlung wieder selbstständig in ihrem familiären, sozialen und beruflichen Alltag bewegen können. Manche psychische Krankheit erschwert ein Anknüpfen an das frühere Leben. Der Sozialdienst begleitet die Patient:innen durch die Krankheit und hilft im akuten Krisenfall oder bei Problemen im Umfeld. Er unterstützt, etwa wenn jemand eine gesetzliche Betreuung benötigt, vermittelt stationäre oder ambulante Behandlungen, oder berät, falls es hilfsbedürftige Angehörige gibt, die versorgt werden müssen.
Gleichzeitig wird immer wieder vermittelt, dass es völlig in Ordnung ist, sich erneut Hilfe zu holen. „Wir sagen den Leuten immer ‚Kommen Sie gerne wieder‘. Damit ist natürlich nicht gemeint, dass wir wollen, dass die Patient:innen wieder rückfällig werden. Es geht vielmehr um das Gefühl eines Sicherheitsnetzes“, sagt Frischholz, als sie dem Patienten die Sitzungs-Anwesenheit in seinem Therapieplan bestätigt. Auch das ist eine Maßnahme, um eine Struktur zu schaffen und die Suchtkranken so wieder ins eigenständige Leben zurückzuführen. Die Patient:innen müssen selbstständig auf das Personal zugehen, um sich die einzelnen Programmpunkte im Therapieplan bestätigen zu lassen.
Was ich bisher erlebt habe, klingt sehr nach Psychotherapie. Ich hake bei der Sozialpädagogin Kerstin Bletsch nach, wo der Unterschied zwischen Psychotherapie und Sozialpädagogik liege. Psychotherapeut:innen und Psychiater:innen – also die Ärzt:innen – arbeiten vor allem diagnostisch. Sie analysieren die Symptome, stellen die Krankheit fest und erarbeiten einen individuell abgestimmten Therapieplan. Sozialpädagogen kümmern sich vor allem um die Frage „Wie geht es nach der Entgiftung, der Therapie, dem Krankenhaus weiter?“.
Ich frage Bletsch, warum sie sich für diesen Beruf entschieden hat. Sie lacht und ihre Augen beginnen zu leuchten. Es seien vor allem die Menschen, die sie interessierten. Wichtig sei dabei, die Schicksale nicht zu werten, und man brauche die Fähigkeit zur Abgrenzung. Die Langzeittherapie bei Alkoholkranken dauert 15 Wochen – da hat man längeren Kontakt.
Plötzlich klingelt das Telefon. Ein Patient meldet sich bei Bletsch, um ihr mitzuteilen, dass er seine Entwöhnung auf Station 13b des Wöllershofer Schwester-Klinikums in Regensburg antreten möchte. Dort sei er näher an zuhause. Nun müssten Anträge für die Kostenübernahme ausgefüllt werden. Dafür benötigt er Kerstin Bletschs Hilfe. Die Mitarbeiter:innen des Sozialdienstes sind auch für die Ermittlung des Kostenträgers zuständig und stehen mit Renten- und Krankenversicherung sowie der Sozialverwaltung des Bezirks Oberpfalz in Verbindung.
Nach dem Telefonat protokolliert sie den Kontakt mit dem Patienten, inklusive der Dauer des Gesprächs. Um Dokumentation und Verwaltung kommt also auch der Sozialdienst nicht herum. Stichwort Qualitätsmanagement.
Zusätzlich bereitet Kerstin Bletsch Gruppensitzungen mit verschiedenen Inhalten vor. Ein Thema, das bei Patient:innen sehr gut ankommt, ist „Glück“. Mit der zentralen Frage „Was bedeutet Glück für mich?“ bringt sie den erkrankten Menschen eine bewusste Lebensführung näher. Sie vermittelt die Botschaft: Mit sich selbst zufrieden zu sein ist eine Fähigkeit, die man lernen kann.
Halbzeit. Ich wechsle auf Station 2. Sozialpädagogin Claudia Sobek arbeitet auf der Station für Drogen- und chronisch mehrfach beeinträchtigte Abhängige (CMA). Sie erzählt, dass sich die Arbeit mit Drogenpatient:innen von der mit Alkoholabhängigen unterscheidet. Sie verhielten sich anders, deshalb müsse unterschiedlich auf sie eingegangen werden. An oberster Stelle stehe auch hier die Psychoedukation und Strategieentwicklung bei Rückfällen. Der Suchtdruck, also das Verlangen nach den Rauschmitteln, ist ein halbes Jahr lang sehr hoch, erklärt sie.
Während Frischholz und Bletsch bei ihren Patient:innen viel mit Terminvereinbarung arbeiten, geht Sobek freier vor und passt diese eher auf dem Gang ab, um sich nach ihnen zu erkundigen oder Informationen einzuholen. Ganz unkompliziert.
Man brauche, so Claudia Sobeck, grundsätzlich viel Verständnis und Geduld für die CMA-Patient:innen auf Station 2B, da viele krankheitsbedingt in ihren kognitiven Fähigkeiten eingeschränkt seien. Daran wird in Gruppen- und Einzelsitzungen gearbeitet. Auch hier kommt das Spielkonzept von „Wer wird Millionär“ wieder zum Einsatz. Das langfristige Ziel bleibt dasselbe: die erfolgreiche Abstinenz und Wiedereingliederung in die Gesellschaft.
Dazu ist es manchmal auch notwendig, den Kontakt zum bisherigen sozialen Umfeld weitestgehend abzubrechen und sich ein sprichwörtlich neues Leben aufzubauen. Das ist in betreuten Wohngruppen möglich, in der ehemals Abhängige miteinander in den Alltag zurückfinden sollen.
Nachmittags begleite ich Tamara Federl. Die Jüngste im Sozialdienst-Team arbeitet in HAUS 19, der Fachklinik für Sucht-Reha. Hier geht es darum, die Abstinenz nach der Entgiftung auch therapeutisch zu stärken und die Patient:innen auf das Leben nach der Langzeittherapie vorzubereiten. Federl macht mit den Patient:innen viele Motivations- und Bewerbungstrainings. Außerdem unterstützt sie sie bei der Wohnungssuche und den notwendigen Anrufen bei verschiedenen Institutionen wie dem Arbeitsamt oder der Bank. Für die Patient:innen ist das eine Herausforderung, die gemeistert werden will. Sozialdienst – Individuell wie die Menschen selbst.
Am Ende des Tages sitze ich wieder im Zug nach Regensburg und lasse das Erlebte Revue passieren. Der Begriff „Sozialdienst“ ist immer noch weit gefasst und genau das trifft den Nagel auf den Kopf. Grundsätzlich macht jede Mitarbeiter:in im Wöllershofer Sozialdienst dasselbe: Alle begleiten und unterstützen die Patient:innen auf ihrem Weg aus der Krankheit. Doch so unterschiedlich die Patient:innen und Krankheiten sind, so verschieden sind die Herangehensweisen der Sozialpädagog:innen. Facettenreich, herzlich, zuversichtlich, immer in Zusammenarbeit mit den Patient:innen. Ganz, ganz nah am Menschen.
Sozialdienst bei der medbo. Am Zugfenster rauscht die Oberpfalz vorbei, während ich auf dem Weg zum Bezirksklinikum Wöllershof über den Begriff „Sozialdienst“ nachdenke. Wikipedia verrät mir, dass das Wort „sozial“ im erweiterten Sinn „hilfsbereit, gemeinnützig oder barmherzig“ bedeutet. Ist also der Sozialdienst ein „gemeinnütziger Dienst“?
Es ist kurz nach halb acht Uhr morgens, als ich durch den Torbogen das Gelände des Bezirksklinikums Wöllershof betrete. HAUS 5 ist mein erster Einsatzort an diesem Tag. Dort werden medikamenten- oder alkoholabhängige Menschen stationär betreut.
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