Depression: Das erste Mal

Ein Depressionspatient berichtet über seine erste Begegnung mit der psychiatrischen Klinik.

In Deutschland kommen jährlich auf 1.000 Krankenversicherte etwa 904 Krankheitstage aufgrund einer depressiven Erkrankung (Quelle: Statista). Aber wie ergeht es Patient:innen bei der ersten Begegnung mit einem psychiatrischen Krankenhaus?

Psychische Erkrankungen haben zwischenzeitlich den Status von Volkskrankheiten: Ein Fünftel bis ein Viertel aller Erwachsenen erkranken wenigstens einmal im Leben ernsthaft. Eigentlich sollte man meinen, als psychisch Erkrankter begibt man sich heute vorbehaltsfrei in die notwendige medizinische Behandlung – so wie man es halt tut, wenn man krank ist. Doch die Angst vor der Psychiatrie ist bei vielen Menschen groß, die Sorge, als Psychiatriepatient:in gesellschaftliche und soziale Nachteile zu erleiden, hoch.

Endlich in Sicherheit

Auch Hans Tander (Name geändert) hat fast zehn Jahre gebraucht, bis er sich das erste Mal stationär in der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Bezirksklinikum Regensburg (BKR) behandeln ließ. Und selbst dann ging er diesen Schritt nicht ganz freiwillig: Tander hatte gerade einen Suizidversuch hinter sich. Nachdem er von der somatischen Intensivstation entlassen werden konnte, kam er direkt zur medbo. „Mir wurde gesagt, ich muss jetzt ins BKR. Ich war schlichtweg nicht in der Lage zu widersprechen“, erzählt der 57-Jährige.

Ein Tag im Oktober

An den Tag selbst erinnert er sich jedoch noch ganz genau. „Es war Ende Oktober 2009.“ Nach einem Aufnahmegespräch durch einen Arzt kam Tander auf eine offene Station und schlief dort eine Woche lang fast nur – Nachwirkungen der Medikamentenvergiftung durch den Suizidversuch. Als er wieder in der Lage war, seine Umgebung wahrzunehmen, überraschten ihn seine eigenen Gefühle: „Obwohl ich selbst Arzt bin, hatte ich immer Angst vor der Psychiatrie. Aber was ich tatsächlich fühlte, als ich dann dort war, war einfach nur eine unglaubliche Erleichterung, endlich aus meiner belastenden Umgebung draußen zu sein. Ein überwältigendes Gefühl, endlich in Sicherheit zu sein. Das werde ich nie vergessen.“

Das Schlimmste ist die Selbst-Stigmatisierung

Tander hat eine lange Leidensgeschichte hinter sich. Jahrelang quälten den freundlichen, zurückhaltenden Mann bereits Depressionen. Er, der studierte Mediziner, konnte selbst lange Zeit nicht glauben, dass die Antriebslosigkeit, dieses Nie-Abschalten-Können, diese Schwächegefühle keine körperlichen Ursachen hatten. Erst nachdem er von Kernspin bis Magen-Darm-Spiegelung „komplett durch die Mühle gedreht worden“ und keine somatische Erkrankung nachweisbar war, begann er langsam auch selbst an die Diagnose „Depression“ zu glauben. Doch auch als er bereits längst in ambulanter psychotherapeutischer Behandlung war, seine Frau sich scheiden ließ und mit dem gemeinsamen Sohn auszog, als er schließlich nicht mehr in der Lage war zu arbeiten: selbst da erkannte Tander nicht das Ausmaß seiner Krankheit.

Die "unerhörten" Krankheiten

So wie Hans Tander geht es vielen psychisch Erkrankten. Es gehört oftmals sogar zum Krankheitsbild, die eigene Erkrankung beziehungsweise deren Ausmaß nicht zu erkennen. Hilfe von außen anzunehmen fällt vielen Betroffenen schwer. Angehörige fühlen sich hilflos oder erkennen selbst nicht, wie schwer die Betroffenen erkrankt sind Dazu kommen Scham und Vorurteile. „Meine Eltern haben nie richtig verstanden, was eigentlich mit mir los ist“, sagt auch Tander. Und: „Das Schlimmste ist die Selbststigmatisierung.“

Unnötiger Leidensdruck

Das Verheimlichen der Erkrankung oder schlicht das Nicht-Erkennen kann dramatische Folgen haben: Die Betroffenen wie Tander erdulden jahrelangen Leidensdruck, erleben das Scheitern ihrer Beziehungen oder verlieren ihre Arbeitsstelle. Vielen könnte mit einer frühzeitigen Therapie geholfen werden.

"Ich bereue, nicht früher gekommen zu sein"

Hans Tander sagt heute: „Ich bereue, nicht früher zur medbo gekommen zu sein. Hier habe ich mich aufgefangen gefühlt, musste mich zum ersten Mal nicht erklären, nicht schämen.“ Neben der ärztlichen Behandlung und den therapeutischen Angeboten half Tander auch der Kontakt zu seinen Mitpatient:innen. „Mit einigen bin ich heute noch befreundet“, erzählt er. Nach monatelangem stationären und tagklinischen Aufenthalt fällt es ihm schließlich sogar schwer, den sicheren Rahmen der Klinik zu verlassen und wieder nach Hause zu ziehen.

Keine Angst - auch bei chronischen Erkrankungen

Nach wie vor kommt er regelmäßig in die ambulante Nachbetreuung zu Dr. Maria Gerst, Oberärztin in der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Bezirksklinikum Regensburg. Bis heute lassen ihn die Depressionen nicht ganz los, er wird vermutlich immer Medikamente nehmen müssen. Doch es gibt einen großen Unterschied: „Würde Dr. Gerst heute zu mir sagen ‚Jetzt müssen Sie wieder stationär aufgenommen werden‘ – dann würde ich das sofort machen. Ich habe keine Angst mehr vor der Psychiatrie.“

Wichtige Netzwerkpartner

Gute Anlauf- und Informationsstellen für psychisch erkrankte Menschen sind immer auch Selbsthilfevereine und Hilfsorganisationen. Der Verein „Irren ist menschlich e.V.“ wendet sich an Psychiatrie-Erfahrene in und um Regensburg. Das „Bündnis gegen Depression Regensburg e.V.“ kümmert sich speziell um die Belange von Menschen mit Depression.

  • Irren ist menschlich e.V.:  Fon +49 (0) 941/50479777, Mobil +49 (0) 1578/0974960, info@irren-ist-menschlich-ev.de
  • Bündnis gegen Depression Regensburg e.V.: Fon +49 (0) 941/941-1621, depression@medbo.de

 

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