Den Alltag erobern

Wie psychisch kranke Menschen ihren Weg zurück in einen neuen Alltag finden: PIT – die Psychiatrische Intensivtagesbetreuung der medbo Regensburg – hilft dabei.

Wenn Erkrankungen lange andauern, fallen die Betroffenen sehr oft aus den vertrauten Strukturen und Gewohnheiten. Und bei psychischen Krankheiten gehört der Strukturverlust selbst häufig mit zu den „Symptomen“. In der PIT wird schwer betroffenen Menschen geholfen, wieder Fuß im Alltag zu fassen. Zwei Klienten sowie PIT-Stationsleiterin Margareta Solleder erzählen.

Begegnung ist ein wichtiges Thema in der PIT. Auch wenn es, wie in diesem Fall, pandemiebedingt über Videokonferenz und mit Schutzmaske stattfindet. Margareta Solleder hält sich anfangs eher im Hintergrund. Aber es ist ihr anzusehen, wie sehr sie sich über das Interesse an der PIT freut. Die Einrichtung, die es 2021 seit elf Jahren an der medbo Regensburg gibt, ist ihre Herzenssache. Und sie freut sich, weil sich tatsächlich zwei Klienten bereit erklärt haben, über sich und ihre Zeit in der Tagesbetreuung zu erzählen. Das ist keine Selbstverständlichkeit, denn psychische Erkrankungen – zumal in schwerer Form – sind nach wie vor eine soziale Belastung für die Betroffenen. Ein Stigma. Leider. Markus W. und Harald R. trauen sich, Auskunft zu geben –zumindest in diesem kleinen Kreis und mit der Bitte, ihre Namen zu ändern. Die Beiden könnten unterschiedlicher nicht sein, stehen aber durchaus prototypisch für die Arbeit der PIT.

Zurück in den Job

Der ältere Harald R. ist etwa Mitte/Ende Vierzig, ein wenig nervös, aber neugierig und zugewandt. Seit zwei Jahren ist er Klient der PIT und hat damit die Maximaldauer der Betreuung eigentlich erreicht. Eigentlich: Denn bei bestimmten Konstellationen kann nochmal bis zu einem Jahr verlängert werden, erklärt Margareta Solleder. Im Falle des Herrn R. steht ein Arbeitsplatz in der Regensburger retex Werkstatt für psychisch kranke Menschen in Aussicht und der Bezirk Oberpfalz übernimmt in seiner Funktion als Sozialhilfeträger die Kosten der „Verlängerung“ bei der PIT. „Ich warte jeden Tag auf den Anruf, dass es losgeht“, sagt R. Der gelernte Einzelhandelskaufmann und Lagerlogistiker war jahrelang schwer depressiv. Auch das Thema Suizid kennt er. „Ich war schon ein paar Mal stationär im Bezirksklinikum Regensburg.“ Der Mann aus der Nähe von Sünching brauchte nach den vielen Jahren der Krankheit und der Arbeitslosigkeit nach dem Krankenhaus wieder Hilfe beim Einstieg in den Arbeitsmarkt. „Eigentlich wollte ich mich über die PIT gleich für den ersten Arbeitsmarkt qualifizieren. Aber der Einstieg bei retex – also den zweiten Arbeitsmarkt – ist mir ebenso recht. Hauptsache arbeiten!“, sagt Herr R.

Stützende Strukturen

„Hospitalisierung“ nennt man dies, wenn Patient:innen mit langdauernden Klinikaufenthalten Stück für Stück die Alltagsroutinen des normalen Lebens verlernen. Im Krankenhaus werden sie rundum versorgt. Ist die stationäre Behandlung vorbei, erwartet sie „draußen vor der Tür“: Nichts, zumindest nicht viel. Bei schwer und vor allem auch chronisch betroffenen Menschen führt die Erkrankung selbst häufig zur Frühverrentung oder zumindest in die Sozialhilfe. „Nach Jahren einer psychischen Krankheit brechen bei vielen Patient:innen Stück für Stück die stabilisierenden Strukturen weg, die sie für den Einstieg in ein normales Leben außerhalb der psychosozialen Versorgung eigentlich dringend brauchen“, erklärt Margareta Solleder. Viele verlören nicht nur den Arbeitsplatz. Durch den oft krankheitsbedingten Rückzug gingen die sozialen Kontakte kaputt oder das frühere Umfeld ziehe sich zurück. Manche Patient:innen müssten sich aus gesundheitlichen Gründen völlig neu orientieren, denn der Faden zum alten Beruf, zum geliebten Hobby, zum früheren Wohnort sei abgerissen und könne nicht mehr aufgenommen werden.

„Aber die PIT ist nicht einfach ein Trainingsort für Sozialkompetenz“, so Solleder weiter, „Unsere Klientinnen und Klienten brauchen die PIT als eigene soziale Struktur für den Übergang. Als täglichen Fixpunkt sozusagen.“ Viele finden hier Freunde, Menschen mit gleicher oder ähnlicher Geschichte.

Ein Abendteuer

Markus W. ist in seinen Dreißigern. Seit zwei Wochen ist er Klient in der PIT und ist noch sehr vorsichtig und zurückhaltend im Gespräch. Seine Diagnose: eine schwere chronische Psychose. Auch er ist wie Harald R. psychiatrieerfahren und kennt seine Krankheit: Er wird mit ihr leben können, sagt er, wenn er sich an die ärztlichen Vorgaben hält und lernt, drohende Krisen zur erkennen und sich entsprechende Hilfe zu holen. Auch hierzu braucht es unterstützende Strukturen. Noch ist er in ambulanter Behandlung in der Psychiatrischen Institutsambulanz des Bezirksklinikums Regensburgs (PIA). „Viele Klient:innen werden von der PIA zu uns geschickt. Und das ist natürlich eine feine Sache, wenn die medizinische Behandlung noch ambulant läuft, wenn die Menschen bei uns ins Programm einsteigen“, erklärt Stationsleiterin Solleder. Aber grundsätzlich steht jeder andere Weg in die PIT ebenso offen. Herr W. hat sich ebenfalls vorgenommen, wieder Arbeit zu finden. Er ist gelernter Landschaftsgärtner. „Vielleicht kann ich sogar in der Gärtnerei hier am Klinikumsgelände mitarbeiten“, hofft Markus W. Margareta Solleder ergänzt, dass mit Markus W. auch weitere Ziele vereinbart wurden. Bei ihm geht es nicht zuletzt darum zu lernen, sich wieder selbst versorgen zu können. Ob am Ende seiner Zeit in der PIT die Rückkehr zur Familie, eine eigene Wohnung oder eine betreute Wohngemeinschaft stehen wird, wird sich zeigen.

Mit Brief und Siegel

Fünf große Themenfelder werden in der PIT bearbeitet: das Feld der persönlichen und sozialen Beziehungen, Selbstversorgung und Wohnen, die Arbeitswelt, Tagesgestaltung und soziales Leben sowie Umgang mit den Folgen der Erkrankung. Die PIT vereinbart mit jedem Klienten, mit jeder Klientin bestimmte Trainingsziele. „Je nachdem, was jeder Einzelne an Talenten, Fähigkeiten und Rahmenbedingungen – wir nennen das ‚Ressourcen‘ – mitbringt und selbst erreichen möchte. Dann machen wir einen richtigen Vertrag mit den Klient:innen, mit Unterschrift und Stempel“, führt Margareta Solleder aus.

Die PIT arbeitet teilstationär, das heißt Montag bis Freitag startet sie morgens und endet am späteren Nachmittag. Der Tag gliedert sich nach Alltagsthemen wie „Selbstständigkeit“ sowie in feste Zeiten für offene/geschlossene therapeutische Gruppen und individuelle Beratungsgespräche. Ob Trainings in Sachen Kognition oder Haushalt, ob Entspannung oder Akupunktur, ob Bewerbungstraining oder Bewegung: Das Programm ist vielfältig. Daneben gibt es frei wählbare Angebote, vom gemeinsamen Spielenachmittag über Spaziergänge und Ausflüge. Ein besonderes Augenmerk der Arbeit der PIT liegt auch auf Psychoedukation, das heißt die Aufklärung über die eigene Erkrankung. Nicht zuletzt hilft die PIT dabei, psychische Krisen zu vermeiden oder zu lösen.

Rund um den Jahreskreis

Entsprechend bunt ist auch das PIT-Team: Neben psychiatrischer Fachpflege, Heilerziehungspflege und Sozialpädagog:innen sind natürlich Mediziner:innen der medbo und viele externe Partner:innen eingebunden – niedergelassene Fachärzt:innen und komplementäre Einrichtungen ebenso wie die Sozialpsychiatrischen Dienste oder die Gemeindepsychiatrie. Die Liste ist lang.

Das Team der PIT lässt sich auch allerhand Aktionen einfallen, die gemeinsam mit den Klient:innen geplant und durchgeführt werden. Denn auch Jahreszeiten und Feiertage sind eine stützende Struktur. Es werden Sonnwendfeuer und Grillabende organisiert, Bräuche gepflegt und Geburtstage gefeiert. Eine der wichtigsten Aktionen ist der jährliche Weihnachtsbasar. An diesem Tag stehen die Türen der PIT für externe Gäste offen, die sich auch gleich mit selbstgemachten Plätzchen, Christbaumschmuck und Adventsdekoration eindecken können. Ein Highlight!

Drei Wünsche

Die Frage, was sie sich für sich und für die PIT wünschen würden, beantworten die Drei recht unterschiedlich. Margareta Solleder denkt pragmatisch: „Mit retex, dem Werkhof und der Lebenshilfe haben wir gute Partner des zweiten Arbeitsmarkts. Auch die Arbeitsagentur unterstützt uns. Aber ich würde mir mehr Firmen des ersten Arbeitsmarktes wünschen, die Menschen mit psychischen Erkrankungen eine Chance geben.“ Der PIT-erfahrene Harald R. hadert ein wenig damit, dass die PIT in Corona einige Angebote nicht oder nur begrenzt umsetzen konnte. „Ein Ende der Pandemie!“ lautet sein Wunsch. Markus W. hingegen möchte mehr Platz für die PIT, die sich auf die Räumlichkeiten eines Stationsflurs beschränkt. Aber noch kennt er den traumhaften Innenhof und das medbo Gelände in Regensburg nicht …

Die Psychiatrische Intensiv-Tagesbetreuung PIT

Die PIT der medbo Regensburg ist eine teilstationäre Einrichtung zur Beratung, Förderung und Betreuung erwachsener Menschen mit schwerer psychiatrischer Erkrankung nach abgeschlossener Krankenhausbehandlung. Ihr übergeordnetes Ziel basiert auf dem Sozialgesetzbuch (SGB IX): Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft.

Wichtigste Voraussetzungen für die Aufnahme in die PIT sind der Abschluss eines Betreuungsvertrages mit der Einrichtung sowie die Bereitschaft zur Teilnahme und Absprachefähigkeit.

Kostenträger sind die Bezirke Oberpfalz und Niederbayern, bei denen Förderanträge gestellt werden können. Auch Selbstzahler:innen können die PIT in Anspruch nehmen.
 

Mehr Informationen unter:

Psychiatrische Intensivtagesbetreuung
medbo Bezirksklinikum Regensburg
Fon +49 (0) 941/941-2266 | pit-psy-r@medbo.de