„Altwerden ist nichts für Feiglinge“ – die Hollywood-Diva Mae West hatte einen eher pessimistischen Blick auf den Umgang mit dem eigenen Altern. Aber ist es zwangsläufig, dass der letzte Lebensabschnitt auch ein schwerer, freudloser oder sinnentleerter ist?
Alter(n) wird durch mediale Darstellung problematisiert. Überalterung, demographischer Wandel, zunehmende Pflegebedürftigkeit und ihre hohen gesellschaftlichen Kosten, aber auch Altersarmut und Vereinsamung im Alter prägen manche Schlagzeile oder manchen Report. Das Thema Alter ist schon vor 2000 Jahren durch Cicero abgehandelt worden (De senectute). Er ließ Cato den Älteren über das Alter sprechen und sah im hohen Ansehen die Krönung des Alters. Cato wusste aber auch, dass man sich die Früchte des Ansehens nicht plötzlich durch graue Haare und durch Runzeln verschaffen kann, sondern durch ein schon früher in Ehren geführtes Leben.
Noch Mitte des letzten Jahrhunderts wurde ein Mensch, der 80 Lebensjahre und mehr erreicht hatte, in einem Zustand "biblischen Alters" gesehen. In der gerontologischen Fachsprache werden heute die 65-79jährigen als die „jungen Alten“ bezeichnet. Ab 80 gehören die Senioren zu den „alten Alten“. Paul Baltes beschrieb auf der Basis seiner Berliner Altersstudie die Lebenszeit von 60 bis 75 Jahre als das dritte Lebensalter und gab diese Phase des jungen Alters als "belle époque" aus. Gleichzeitig stufte er die Jahre 75+ als das hohe Alter ein und versah es wegen des zunehmenden Risikos, an körperlichen und geistigen Krankheiten zu leiden, mit dem Etikett "Hoffnung mit Trauerflor". Er selbst verstarb übrigens im Alter von 67 Jahren.
Nun liegen seit einiger Zeit die Ergebnisse einer zweiten Heidelberger Hundertjährigen-Studie vor (II HD 100, 2013), und es drängt sich der Impuls auf, die Lebensphase 90+ als das fünfte Lebensalter zu bezeichnen. Folgt man nämlich der Prognose dieser Heidelberger Studie, dürfte es mittlerweile etwa 14.000 Hundertjährige in Deutschland geben. Und die gesammelten Daten einer Stichprobe von 95 Personen zeichnen ein hoffnungsvolles Bild: Gegenüber einer ersten Hundertjährigen-Studie (HD 100, 2001) zeigten sich hinsichtlich der körperlichen Ressourcen durchaus positive Trends. Aber im Stichprobenvergleich (zu 2012) hat sich vor allem auch der kognitive Status verbessert.
Zumindest in der „belle époque“ bieten sich den Seniorinnen und Senioren zahlreiche Abwechslungen im sportlichen und kreativen Bereich. So ist auch laut einer Altersstudie von 2013, in der 4.197 Personen zwischen 65 und 85 Jahre befragt wurden, die Lebenszufriedenheit eher hoch: auf einer Skala von 0 bis 10, wobei 10 die höchste Zufriedenheit darstellt, liegt sie bei durchschnittlich 7,4. 57 % der Befragten stufen sich sogar über 8 ein. Das könnte auch daran liegen, dass das „gefühlte Alter“ zehn Jahre unter dem tatsächlichen liegt („down-aging“). 70 % der Befragten leben aber in dem Bewusstsein, ihren letzten Lebensabschnitt zu verbringen. 60 % beurteilen ihr Alter optimistisch und stimmen der Einschätzung zu, „man ist gelassener und hat mehr Erfahrung“. Deshalb treten Themen wie Sinn, Religion, Verantwortung und Naturerfahrung in den Vordergrund (im Vergleich zu anderen Altersklassen). Soweit die erfolgreich Alternden.
Es gibt aber auch die anderen, die nicht so erfolgreich Alternden. Sie leiden mehr und mehr an der verrinnenden Zeit, spüren die Endlichkeit der eigenen Lebenszeit und grübeln über die Endgültigkeit und die verpassten Möglichkeiten. Es liegt sicherlich auch an der Persönlichkeitsstruktur eines Menschen, welche Gedanken in seinen Kopf kommen und gewichtig werden.
Menschen, die schon immer etwas ängstlich, leicht zu verunsichern, grübelnd, zweifelnd waren, leiden eher am Sein – ohne deshalb früher zu sterben als die optimistischen Alten. Wer sich mit einer chronifizierten somatischen oder psychischen Erkrankung belastet sieht, wird zermürbt. Aufgrund der negativen Erlebnisse werden dem oder der Betroffenen Grenzen ihres/seines Lebens aufgezeigt. Die will er oder sie aber nicht akzeptieren. Die Folge könnte eine psychische Störung sein, eine reaktive Depression, eine Anpassungsstörung an die Lebensphase Alter.
Wie umgehen mit der psychischen Krise? Von psychologisch-psychotherapeutischer Seite werden sogenannte Coping-Strategien angeboten (coping: englisch „zurechtkommen“). Nicht die Lösung oder Auflösung von psychischen Problemen ist dann das Ziel („Einen Jungbrunnen gibt es nicht!“), sondern der Versuch ihrer Bewältigung. Die Entwicklung von Fähigkeiten, mit den Beeinträchtigungen zu leben, ist der Weg: eine Umstrukturierung im Erleben und Verhalten.
Natürlich ist das leichter gesagt als getan. Darum ist ein längerer psychotherapeutischer Prozess notwendig, der diese kognitive, emotionale und verhaltensmäßige Umstellung anbietet, begleitet und unterstützt. Auf Fragen nach dem „Warum? Warum jetzt? Und Warum gerade ich?“ finden sich oft keine befriedigenden Antworten. Die Situation als existenzielle Dimension menschlichen Daseins zu begreifen, gilt es psychotherapeutisch gemeinsam auszuhalten.
Unterstützung bedarf es auch bei Fragenden, die im Alter nach Sinn und Zweck der noch verbleibenden Jahre suchen. Die gestiegene Lebenserwartung trifft manchen unvorbereitet. Was anfangen mit den „geschenkten“ Jahren? Mein Lebensentwurf war vielleicht auf 80 Lebensjahre angelegt und jetzt kann man sogar 100 werden! Ob ich da immer noch golfe oder musiziere, reise oder Karten spiele? Und wer werden meine Partner:innen sein? - Das hohe Alter also mehr Bürde als Würde?
Von denen, die „dem Alter ins Gesicht schauen“ wird eine „happy gerontology“, als übersteigert optimistisch zurückgewiesen. Das Versprechen eines erfolgreichen Alterns wird hinterfragt angesichts der Tatsache, dass jenseits von 85 Jahren die Zahl derer, die unter chronischen Belastungen leiden, fast fünfmal höher ist als bei 70- bis 85jährigen. Wenn der Lebensweg zum Leidensweg wird, sind die Grenzen der menschlichen Anpassungsfähigkeit erreicht oder auch überschritten. Unser Regensburger Zentrum für Altersmedizin muss dann medizinische und psychotherapeutische Hilfen bereitstellen, um den Lebenswillen der Betroffenen, die dann zu schwer depressiven Patienten geworden sind, zu rekonstruieren.
Autor: Dr. Klaus Gürtler ist psychologischer Psychotherapeut i.R. und war viele Jahre am Zentrum für Altersmedizin am medbo Bezirksklinikum Regensburg tätig. Er ist seit vielen Jahren bei der Alzheimer Gesellschaft und der Alzheimer-Stiftung Oberpfalz aktiv.
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