Männer ticken anders

Weil die männliche Psyche spezifisch ist, gibt es eine spezielle Männersprechstunde am Zentrum für Psychiatrie Cham (ZfP).

Liegen bei Depressionen, Ängsten und anderen psychischen Erkrankungen wirklich die Frauen statistisch vorne? Oder gehen Männer einfach nicht gerne zum Arzt, geschweige denn zum Psychiater? Dr. med. Cordula Heyne, stellvertretende Chefärztin und Leiterin der Männersprechstunde am ZfP, gibt Antworten.

„Ein Indianer kennt keinen Schmerz“ - gilt das auch für die Männerpsyche?

H: Das ist ein gutes Beispiel für das in der Gesellschaft bestehende Klischee vom starken Mann, der seine Wunden selbst näht und seine Probleme einzig mit sich selbst ausmacht. Zu einem „richtigen“ Mann passen nach dieser Formel psychiatrische Erkrankungen nicht, er holt sich keine professionelle Unterstützung. Doch jedes Jahr erkranken Tausende Männer ebenso wie Tausende Frauen jeden Alters psychisch. In der Symptomausprägung der psychischen Erkrankung zum Beispiel bei der Depression oder dem Gesundheitsverhalten gibt es aber genderspezifische Unterschiede.

… die da wären?

H: Männer können oft eine Depression gar nicht so leicht erkennen, die Symptome gleichen oft nicht dem bekannten Bild von gedrückter Stimmung und Antriebslosigkeit. Vielmehr können sich Unruhezustände, Ruhelosigkeit, Gefühl von Reizbarkeit, Schmerzen, Unzufriedenheit, Impulsivität und Flucht in Arbeit oder Alkohol zeigen. Dann sind da noch Scham vor Stigmatisierung, Skepsis gegenüber Psychotherapie und Psychopharmaka und die fehlende Übereinstimmung mit den gesellschaftlichen Männeridealen zu überwinden – so sind die Wege für Männer in adäquate Behandlung oft lang und leidvoll.

Sich rechtzeitig Hilfe zu suchen, ist eigentlich weise, nicht schwach…

H: Genau. Die psychische Gesundheit darf niemals auf die leichte Schulter genommen werden, was Männerfakten deutlich darstellen. Dreiviertel aller Suizide in Deutschland werden durch Männer verübt. 2019 waren das fast 7.000 männliche Opfer! Weltweit ist jede Minute ein Mann so verzweifelt, dass er sein Leben beendet. Deswegen muss man sich einer wichtigen Tatsache bewusst werden: Die Psychiatrie ist eine medizinische Disziplin mit einem breiten Spektrum an Störungsbildern, die ebenso wie körperliche Krankheiten großes Leid mit sich bringen können – auch bei Männern!

In Cham haben Sie und Ihr Team eine Sprechstunde nur für Männer aufgesetzt. Wie kam es dazu?

H.: In unserer klinischen Arbeit haben wir immer mehr „gestrandete“ Männer beobachtet, ohne Struktur, ohne Ziele, ohne Selbstwert oder Selbstfürsorge, die sich vor allem in Schwellensituationen oder nach schwierigen Lebenssituationen in Behandlung begaben.

Was sind Schwellensituationen?

H.: Das kann der junge Erwachsene sein, dem die Loslösung vom Elternhaus nicht gelingt. Das kann eine Partnerschaft sein, die nicht gut läuft, oder die Partnerlosigkeit, Probleme am Arbeitsplatz, der Verlust eines wichtigen Menschen. Kurz gesagt: immer dann, wenn man ins Wanken gerät. Der Auftrag lautet hier: festen Boden finden.

Wie findet man dann als Mann wieder festen Boden?

H.: Wir haben uns hier viele Fragen wie diese gestellt: Welches Therapieangebot brauchen Männer eigentlich? Was ist hilfreich? Passt das bisherige Therapieangebot des Zentrums? Wir sind zu mehreren Ergebnissen gekommen. Ein Beispiel: Die Stärkung des männlichen Selbstwertes gelingt nachhaltiger über männersensible Zugänge wie etwa über Wettbewerbe beim Tischtennis oder Kickern, anstatt ausschließlich durch Gespräche. So konnten wir schon gute Erfolge stationär erzielen. Daher war der nächste Schritt, als Team auch ambulant ein entsprechendes Angebot aufzustellen: Die Männersprechstunde.

Was bietet die Männersprechstunde?

H.: Die Männersprechstunde ist ein Angebot für Männer mit psychischen Problemen, etwa in sich ändernden Lebenslagen, bei Leistungseinbußen, nach Gewalterfahrung, nach Mobbing et cetera. Am Anfang steht ganz zentral die Klärung der Frage: Was ist los, wo gibt es Probleme? Damit ist die Sprechstunde ein Angebot zum Einstieg in das psychiatrische Versorgungssystem. Nach Klärung durch Diagnostik und Sozialberatung geht es auf die Suche nach einem individuellen Weg und machbaren ersten Schritten. Zum Beispiel gibt es dann auch männerspezifische Stabilisierungs- und Gruppenangebote.

Gespräche sind in der Psychiatrie wichtiger Teil der Therapie. Und dann gibt es dieses Klischee des schweigenden Mannes, der nicht gerne über seine Probleme spricht. Bestätigt sich das in Ihren Beobachtungen?

HJa und nein. Männer können sich durchaus wortreich mitteilen, ohne allerdings das Problem zu benennen. Gleichzeitig hören wir aber auch oft, ganz dem Klischee folgend, „Mei, des Reden ist net so meins“.

Wie sieht ein solches Gruppenangebot aus?

H.: In den diversen Gruppen beschäftigen sich Männer mit Ressourcenthemen wie eigene Potenziale entdecken, Hilfe in Krisen finden oder wie man den Alltag erobern kann. Ein besonderes Highlight sind Gruppen, die von unseren männlichen Teammitgliedern geleitet werden, in denen die Männer selbst ihre Themen bestimmen und ihre eigene Lösungsideen erarbeiten.

Worin liegt der Mehrwert einer reinen Männergruppe?

H.: Ein Beispiel: Ein junger Mann schafft es nicht, sich vom Elternhaus zu lösen. Die eigenständige Bewältigung von Alltagsaufgaben, vom Wäsche waschen bis zum pünktlichen Erscheinen bei Terminen, sind Herausforderungen. Der Rat der Männer in der Gruppe kann sein: „Geh in einen Waschsalon und stell dir einen Wecker“. Positives Feedback aus der Gruppe ist beim ersten Erfolg vorprogrammiert. Kurz: Die Gruppe hilft, eigene Ressourcen zu entdecken - ohne Bevormundung! Eine große Chance in der Männergruppe liegt auch darin, dass die Männer keine Energie in Konkurrenzkampf oder Imponierverhalten investieren müssen.

Sollten Männer nur noch getrennt von Frauen behandelt werden?

H: Das entspricht nicht unseren Lebensrealitäten, denn auch vom anderen Geschlecht kommen Anleitung, Vorbild und Feedback für unsere Patienten.

Vielen Dank, Dr. Heyne, und viel Erfolg mit der Männersprechstunde!

Die Männersprechstunde in Cham

Ein interdisziplinäres Team, bestehend aus Ärzt:innen, Psycholog:innen, Sozialpädagog:innen und Pfleger:innen, kümmert sich um die männliche Psyche.

Angebot

  • Krisenintervention
    Schnelle Hilfestellung und Unterstützung bei akuten Krisen
  • Diagnostische Abklärung
    Einordnung des Problems über ausführliche Anamneseerhebung und testpsychologische Diagnostik, sowie der Ausschluss einer organischen Ursache
  • Beratung
    Psychoedukative Informationsvermittlung zur Diagnose, Aufzeigen der Behandlungsmöglichkeiten, Sozialberatung
  • “Weichen stellen“
    Information über sowie Vermittlung zu passenden ambulanten oder stationären Behandlungsmöglichkeiten, Beratungsstellen oder Netzwerken; psychopharmakologische Therapieeinleitung sowie spezifische Überbrückungsangebote zur Stabilisierung und Vermeidung von erneuter Verschlechterung
  • Überbrückende Therapieangebote
    Gesprächsgruppen, Stabilisierungsgruppen, Soziale Kompetenzgruppen, Männer-Aktiv-Gruppen
  • Zusatzangebote
    Neuro- und Biofeedback, Transkranielle Magnetstimulation

Kontakt

medbo Zentrum für Psychiatrie Cham - Männersprechstunde
August-Holz-Straße 1 | 93413 Cham

Fon +49 (0) 9971/76655-0 | maennersprechstunde-psy-cha[at]medbo.de