Kein Grund zur Angst

Medikamente in der Psychiatrie

Wer krank ist, bekommt Medizin. Was bei somatischen Erkrankungen in der Öffentlichkeit aber anerkannt ist, gilt noch lange nicht für Medikamente in der Psychiatrie.

Eines vorweg: Wenn Menschen Kopfschmerzen haben, nehmen sie nicht einfach nur eine Schmerztablette, damit der Schmerz endlich aufhört. Sie tun es meist freiwillig und ohne ärztliche Verordnung. Verordnet ein Facharzt ein Medikament gegen Depressionen oder andere Psychopharmaka, entwickeln viele Patienten allerdings Ängste. Was für Nebenwirkungen können diese Medikamente auf mich haben? Werden sie mich benebeln oder müde, antriebslos, emotionslos machen? Werde ich abhängig davon?

Wirkung und Nebenwirkung

Egal ob Schmerztablette, Hustensaft oder Neuroleptikum: Der menschliche Organismus unterscheidet hinsichtlich der Verstoffwechslung nicht, zu welchem Zweck die Substanz verordnet wurde. Auch ist es nicht so, dass pflanzliche Substanzen verträglicher sein müssen als synthetisch produzierte Pharmaka. Im Gegenteil kann beispielsweise das pflanzliche Antidepressivum Hyperforin (Wirkstoff, der aus Johanniskraut gewonnen wird) zu deutlich mehr Wechselwirkungen führen als viele andere Antidepressiva. Somit stellt sich die grundsätzliche Frage, wie man ein Psychopharmakon (aus dem Griechischen: psyche = Seele, pharmakon = Arznei) von anderen pharmakologischen Substanzen sicher unterscheiden kann.

Ja oder Nein?

Ob eine Substanz ein Psychopharmakon ist oder nicht, entscheidet sich manchmal erst im Verlauf durch die jeweiligen Zulassungen: Die gegen Dranginkontinenz seit 2004 zugelassene Substanz Duloxetin wurde in der Folge auch als Antidepressivum zugelassen. Der gleiche Wirkmechanismus, der auf die Harnblase wirkt, entfaltet im Gehirn eine antidepressive Wirkung. Oder: Die hauptsächlich zur Senkung der Harnsäure verwendete Substanz Allopurinol kann bei bipolaren Störungen (früher: manisch-depressive Erkrankung) zur Stimmungsstabilisierung eingesetzt werden. Zwar fehlt hierzu die Zulassung, die Substanz ist dennoch in den wissenschaftlichen Behandlungsleitlinien hierfür erwähnt.

Es ist gut und sicherlich wünschenswert, wenn Patienten über verschiedene Wirkungen und Wechselwirkungen der eingenommenen Medikamente Bescheid wissen. Allerdings können die jeweiligen Risiken und der Nutzen am besten abgeschätzt werden, wenn eine individuelle Betrachtung der möglichen Wechselwirkungen und unerwünschten Arzneimittelwirkungen vorgenommen wird.

Die Therapie als großes Ganzes

Die Therapie von psychischen Störungen und Erkrankungen des Gehirns entspricht meist einem Behandlungsprogramm, das aus verschiedenen Bausteinen besteht wie psychotherapeutische, pädagogische und spezialtherapeutische (zum Beispiel Logopädie oder Ergotherapie) Maßnahmen. Je nach Krankheitsbild wird die Pharmakotherapie begleitend oder als Schwerpunkt des Behandlungskonzeptes eingesetzt.

Wechselwirkung zwischen Körper und Arznei

Grundsätzlich unterscheidet man in der Arzneimittellehre das, was das Medikament mit dem Körper macht (= erwünschte und unerwünschte Arzneimittelwirkungen, sogenannte Pharmakodynamik), und das, was der Körper mit dem Medikament macht (soll heißen: Verstoffwechslung oder Arzneimittelmetabolismus, die sogenannte Pharmakokinetik). Wie verträglich, wirksam oder in welchem Maße klinisch relevante Wechselwirkungen auftreten, hängt nicht zuletzt von vielen konstitutionellen Faktoren der Patient:in ab sowie von der Art und Anzahl gleichzeitig eingenommener Medikamente. Auch Nahrungsmittel, Alkohol, Koffein und Nikotin beeinflussen den Arzneimittelmetabolismus und -wirkung in unterschiedlichem Maße.

Einsatzgebiete der Psychopharmaka

Psychopharmaka werden bei den meisten psychischen Erkrankungen eingesetzt: Psychosen, Angst- und Zwangsstörungen oder depressive Erkrankungen zum Beispiel. Das Ziel einer pharmazeutischen Therapie ist es, eine Manifestation von Störungen und/oder einen schweren Krankheitsverlauf zu verhindern, erkrankungsbedingte Auswirkungen auf den Lebensalltag (Stichwort: Lebensqualität) zu begrenzen und die Entwicklung individueller sozialer Fähigkeiten, unterstützend zu allen anderen Therapiemaßnahmen, zu stärken.

Arzneimittelsicherheit

Die Arzneimittelsicherheit und die Dokumentation von unerwünschten Ereignissen hat in den letzten Jahrzehnten weltweit deutlich zugenommen. Wurden verschiedene Substanzen in der Vergangenheit manchmal „zufällig“ entdeckt, durchlaufen die Medikamente heutzutage ein mehrstufiges Zulassungsverfahren, an dessen Ende der Einsatz an erkrankten Studienteilnehmer:innen steht. Auch nach der Zulassung werden unerwünschte Arzneimittelwirkungen kontinuierlich an die Arzneimittelbehörden gemeldet – was auch in der ärztlichen Berufsordnung verankert ist. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) sammelt diese Ereignisse ebenso wie nationale und übernationale Arzneimittelbehörden, was zu einer kontinuierlichen Anpassung der Sicherheitsbewertung eingesetzter Medikamente führt. Zusätzlich hat der behandelnde Arzt/Ärztin bei vielen Medikamenten die Möglichkeit, durch Bestimmung der Medikamentenkonzentration im Blut die individuell am besten wirksame und verträgliche Dosis zu finden (sogenanntes Therapeutisches Drug Monitoring).

Fazit: Medikation ist so individuell wie der Patient

Medikamente, die für Erwachsene passen, sind noch lange nicht für Kinder und Jugendliche geeignet; eine Dosierung, die für Männer richtig ist, ist möglicherweise für Frauen nicht zielführend. So individuell das Anliegen der Patient:innen ist, so angepasst muss auch die Medikation sein. Und das herauszufinden, braucht manchmal allerdings auch seine Zeit. Erfahrende Ärzt:innen wissen dies: Sier kennen das Medikament aus seiner Anwendung bei anderen Patient:innen; sie kennen Studien und tauschen sich mit Fachleuten aus vielen Sparten und Fachbereichen aus – im Krankenhaus nicht zuletzt mit der Pflege. Die Ärzt:in kann das richtige Medikament identifizieren und die Dosis aufgrund der bereits belegten Erfahrungen, unter Berücksichtigung der Wirkung und auch der damit enthaltenen Nebenwirkungen optimal anpassen.

Autoren:

Dr. med. Markus Wittmann ist Ärztlicher Direktor des medbo Bezirksklinikums Wöllershof, Daniela Plößner ist Wersstudentin der medbo Unternehmenskommunikation

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