Im Rahmen von Visiten, Kurzkontakten, Einzel- und Gruppentherapie wird allen Patient:innen eine supportive Psychotherapie zu teil. Diese stützende Psychotherapie orientiert sich an wissenschaftlichen Standards und an den Inhalten der verschiedenen psychotherapeutischen Schulen (kognitive Verhaltenstherapie, systemische und Familientherapie, tiefenpsychologisch orientierte Verfahren). Sie beinhaltet auch eine Psychoedukation, in die in der Regel auch Angehörige mit einbezogen werden.
Psychoedukation informiert über die psychische Erkrankung und ihre Behandlung (etwa Information über Medikamente), unterstützt bei der Krankheitsbewältigung (Compliance) und fördert den selbstverantwortlichen Umgang mit der psychischen Krankheit (Coping-Strategie). Sie ist deshalb ein wesentlicher Bestandteil der supportiven Psychotherapie und wirkt als Rückfallprophylaxe. Psychoedukation fließt in die Einzel- und Gruppentherapie mit ein, wird aber auch zu einem gesonderten Behandlungsbaustein, wenn es um die Einbeziehung von Angehörigen geht.
Psychotherapie in der Gerontopsychiatrie schafft eine Lernsituation, die es den Patient:innen ermöglicht, divergierende Stränge ihrer Biographie zusammenzuführen. Aufgabe für die Psychotherapeut:innen ist es, das Erleben der älteren Menschen, ihre Sicht der Dinge zu verändern. Das Bemühen, Ereignissen der eigenen Biographie eine versöhnliche Bedeutung zu geben, sollte ein Ziel der Psychotherapie in der Gerontopsychiatrie sein. Die Einbeziehung von Angehörigen in Familien- oder Paargesprächen fördert in der Regel den therapeutischen Lernprozess.
Darauf konzentrieren sich auch die Gespräche mit Pflegenden und anderer therapeutischen Fachkräfte: Pflegekräfte werben mit gezielten Hinweisen für die Veränderung eines konkreten Verhaltens, andere Therapeut:innen appellieren an die kreativen und motorischen Seiten der Patient:in und stellen so eine Beziehungsnetz in begrenzter Zeit her. Diese Beziehungsintensität ist vor allem auch wichtig für Kriseninterventionen bei Suizidalität. Gerade da gilt es, neben den medikamentösen Verabreichungen auch ein tragendes Netz und eine lebenswerte Zukunftsperspektive für die Patient:innen spürbar werden zu lassen.
Gerontopsychiatrische Patient:innen leiden auch unter dem Älterwerden und an den damit oft zunehmenden körperlichen Beschwerden. Es sind aber auch psychische Leiden damit verbunden. Altern bedeutet für die Betroffenen ein Betrauern von Unwiederbringlichem. Gedanken über Abbau und Verluste bestimmen das individuelle Altern und entscheiden mit, ob es ein erfolgreiches Altern ist. Themen kreisen im Alter nicht zuletzt um die Schlüsselbereiche Sterben, Einsamkeit, begrenzter Aktionsradius und Sinnsuche. Erfolgreiche Anpassungen an Lebensveränderungen, Belastungen und Älterwerden gelingen nicht immer. Die Suizidrate bezogen auf 100.000 Personen gleichen Geschlechts und gleichen Alters steigt für Männer über 65 Jahre steil an.
Eine depressive Symptomatik im Alter kann als Anpassungsstörung an die „Lebensphase Alter“ gedeutet werden, in der die bisherigen Bewältigungsstrategien und Unterstützungssysteme bei Krankheit und sozialen Belastungen nicht mehr ausreichen. Häufig dekompensieren gerade ältere Frauen erstmals depressiv nach Verlust des Ehepartners oder anderer Verlustsituationen. Mit Blick auf die Gegenwart und Zukunft des Patienten werden existentielle Fragen aufgeworfen: Altern, Krankheit, Schmerz, Verlust. Auch letzte Gegebenheiten wie Sterben und Tod, Sinn, Freiheit und Isolation, die fundamentale Quellen der Angst darstellen, können bei einer tragfähigen Patient-Therapeut-Beziehung Inhalt einer existenziellen Psychotherapie sein.
Auch das Gewahr-Werden kognitiver Beeinträchtigungen kann depressive Zustände begünstigen. Die Sorge „Habe ich Alzheimer?“ kann ebenfalls zu einer existenziellen Frage werden. Eine Anpassungsleistung an eine Lebenssituation mit bleibender und zunehmender Hirnleistungsstörung muss dann nicht nur der/die Betroffene erbringen, sondern das gesamte Familiensystem. Vorrangiges Ziel von psychotherapeutischen Interventionen ist dann, Lebensqualität trotz Demenz zu erhalten.
Bei der Abklärung dementieller Syndrome und den Ausprägungsgraden kognitiver Beeinträchtigungen kommen neuropsychologische Verfahren zum Einsatz, die je nach Fragestellung flexibel, an die Defizite der jeweiligen Patient:innen angepasst und je nach deren Belastbarkeit ökonomisch eingesetzt werden. Ziel ist es, eine mögliche Demenzdiagnose zusammen mit der klinischen Beobachtung und Befunden bildgebender Verfahren abzusichern. Bei der Demenzabklärung spielen auch Angaben der Angehörigen über zurückliegende Verhaltensauffälligkeiten der Betroffenen eine wesentliche Rolle.
Biographiearbeit im psychotherapeutischen Prozess lässt sich vor dem Hintergrund historischer Ereignisse auf individuelle Lebensschicksale ein. Persönliche Geschichte und Zeitgeschichte sind miteinander verwoben, gesellschaftliche Entwicklungen prägen stark den persönlichen Lebenslauf. Eine Biographie ist ein nach Ereignissen geordneter Lebensbericht. Sie deutet oder interpretiert Erlebnisse und ordnet sie subjektiv ein. Der Wahrheitsgehalt ist vom Zuhörer dabei nicht oder nur teilweise nachprüfbar. Das ist Problem und Chance zugleich. Chance dann, wenn aus dem Erzählten herauslesbar ist, wie eine Patient:in gerne erscheinen möchte oder sich selbst sieht. Am beteiligten Gefühl lässt sich neben dem Inhalts- auch ein Beziehungsaspekt der biographischen Erzählung ablesen. So ist ein psychotherapeutisches Gruppengespräch eine an Lebenslaufdaten orientierte mitmenschliche Begegnung, bei der auf die Beziehungsqualität zu achten ist.
Für die hier vorgeschlagene Schwerpunktbildung bei der Biographiearbeit als Blick in die Zukunft lohnt es sich vor allem, auf die bisherige Sinngebung der präsentierten Lebensgeschichte zu achten. So zielt ein Gruppengespräch darauf, aus der Bilanzierung des Bisherigen neue Sinnquellen zu erarbeiten. Damit der Mensch seine jetzige Situation als sinnvoll erlebt, muss dem momentanen Lebensabschnitt noch etwas folgen. Das Leben darf noch nicht enden. Die Patient:in muss lernen, den eigenen Lebenslauf als Glied in einer Kette von Generationen zu sehen. Eventuell helfen dabei religiöse Wertvorstellungen.
Der Stolz auf die eigene Lebensleistung, die erworbenen materiellen Güter, der Bau eines Hauses, der Kauf von Autos, Möbeln, der Sparvertrag, der gepflanzte Baum, die makellose, pflichtbewusste Berufslaufbahn, die sportlichen oder künstlerischen Leistungen, die gestillten Kinder, die gepflegten Eltern, die bewältigten Krisen: all dies sind Erfolge und eine persönliche Erfolgsbilanz. Wir relativieren unsere individuelle Bedeutung aber dadurch, indem wir uns als Teil eines uns zeitlich und räumlich überragenden und einschließenden Lebensprozesses begreifen, der nicht erst mit der Geburt beginnt und mit dem Tod endet.
Tritt als übergeordnetes Therapieziel eine Erneuerung von Lebenssinn hervor, so lassen sich im Rahmen von Ressourcenaktivierung die Förderung von Selbstständigkeit, die Wiederbelebung der sozialen/kommunikativen Fähigkeiten und der achtsame Umgang mit dem eigenen Körper als weitere Therapieziele herausstellen.
Im Rahmen unserer Psychiatrischen Institutsambulanzen werden gerontopsychiatrische Patient:innen auf Wunsch weiterhin psychotherapeutisch und medikamentös versorgt. Auch sind zwei- bis vierwöchige Hausbesuche bei den Patient:innen durch Pflegekräfte unseres gerontopsychiatrischen Besuchsdienstes möglich. Die Besuche werden dann psychotherapeutisch nachbesprochen.
Sie arbeitet mit systemischen Elementen im Rahmen der Gespräche mit den Angehörigen, damit der in Gang gesetzte Veränderungsprozess bei den Patient:innen auch im häuslichen Umfeld zum Tragen kommen kann (Transfer). Die einzelnen Schritte der stationären psychotherapeutischen Vorgehensweise werden kurz dargestellt:
Dr. phil. Klaus Gürtler ist Psychologischer Psychotherapeut der medbo a.D., Prof. Dr. Stephan Schiekofer ist Chefarzt am Zentrum für Altersmedizin am Bezirksklinikum Regensburg.