Ernsthafte Folgen für die Seele

Long-Covid: trotz Genesung psychisch krank.

Eine aktuelle Studie aus den USA stellt fest, dass 17 % der genesenen Menschen über die Covid19-Infektion hinaus eine behandlungsbedürftige Angststörung entwickeln (Quelle: Ärzteblatt.de, 04/2021). Knapp 14 % klagen über affektive Störungen wie Depressionen. Bei weiteren 7,1 % wird Substanzmissbrauch diagnostiziert. Rollt eine Welle auf die klinische Psychiatrie zu? Im Interview: Prof. Dr. Rainer Rupprecht, Inhaber des Lehrstuhls für Psychiatrie & Psychotherapie der Universität Regensburg und Ärztlicher Direktor der psychiatrischen Universitätsklinik am medbo Bezirksklinikum.

Prof. Rupprecht, über ein Jahr hält die Corona-Pandemie nun schon an. Einige wenige Studien wie die oben zitierte liefern erste wissenschaftliche Hinweise zu Langzeitfolgen einer Corona-Erkrankung (Long-Covid). Haben Sie auch in der klinisch-psychiatrischen Versorgung erste Erkenntnisse gewinnen können, ob spezielle Long-Covid-Patientengruppen besonders häufig oder besonders schwer betroffen sind?

R.: Es zeichnet sich ab, dass Covid-Patient:innen als Spätkomplikationen psychiatrische Auffälligkeiten, beispielsweise die oben zitierten Depressionen oder Angststörungen, entwickeln können. Dieses Phänomen tritt nicht unbedingt bei den schwer an Covid erkrankten Personen auf, sondern durchaus auch nach leichteren Infektionen.

Wie definiert sich eigentlich „Long-Covid“ in der Psychiatrie? Ab wann spricht man von einem Long-Covid-Befund und ab wann wäre „Long-Covid“ als „chronisch“ zu bezeichnen?

R.: Die Begrifflichkeiten sind noch im Fluss. Im Allgemeinen geht man von einem Long-Covid-Syndrom aus, wenn die Beschwerden noch zwölf Wochen nach Abklingen der Akutinfektion bestehen.

Welchen Einfluss kann eine Corona-Erkrankung auf Menschen mit einer bestehenden psychiatrischen Haupterkrankung haben?

R.: Dies ist vielschichtig. Zum einen schieben die Patient:innen elektive Behandlungen in der Klinik auf, sind aber dann umso schwerer krank. Zum anderen können aber eine Infektion oder die pandemiebedingten Einschränkungen die zugrundeliegende psychiatrische Erkrankung verschlimmern.

Kann aus Ihrer Erfahrung eine Covid19-Erkrankung direkt eine psychische Erkrankung auslösen, etwa im neuropsychiatrischen Spektrum – man denke an dementielle Syndrome oder über inflammatorische Prozesse, die direkt mit dem Gehirn als Organ assoziiert sind?

R.: Das ist prinzipiell möglich, da das Virus auch das Nervensystem und das Gehirn befallen kann.

Ein dritter Aspekt: Eine Long-Covid-Diagnose kann selbst zu einer psychischen Überlastung der Betroffenen führen. Rollt hier möglicherweise eine weitere Welle auf die psychiatrische Versorgung zu?

R.: Die psychischen Spätfolgen der Pandemie sind noch gar nicht absehbar. Ob Spätfolgen einer Corona-Erkrankung oder Nachwirkungen der Pandemie: Es ist tatsächlich davon auszugehen, dass die damit verbundenen Belastungen und reellen Sorgen vieler Betroffener sich auch ungünstig auf die seelische Gesundheit auswirken.

Wie therapiert man Long-Covid-Patient:innen mit psychischen Diagnosen? Gibt es spezielle Ansätze?

R.: In unserer Klinik werden Menschen mit psychiatrischer Haupterkrankung therapiert. Die Behandlung von Patient:innen, die als Nachwirkung einer Covid19-Infektion psychiatrische Symptome – etwa Depressionen oder Ängste – entwickeln und zu uns kommen, unterliegt entsprechend diesen Behandlungsleitlinien, beispielsweise Pharmakotherapie und Psychotherapie. Aber stellen wir bei Aufnahme in die Klinik eine Infektion fest, ist natürlich auch die internistisch-symptomatische Therapie unserer Patientinnen und Patienten wichtig, und die haben wir in der Klinik ebenfalls im Auge.

Prof. Rupprecht, vieles deutet darauf hin, dass eine Covid19-Infektion in vielerlei Hinsicht langwierige Folgeerkrankungen nach sich ziehen kann.Wie stellt sich hier die Wissenschaft im Fach Psychiatrie & Psychotherapie auf?

R.: Diese Forschung ist erst am Anfang. Hier gilt es zu klären, ob durch die Infektion direkt psychische Störungen ausgelöst werden beziehungsweise inwieweit die Folgen der Erkrankung, aber auch soziale und wirtschaftliche Folgen eine Rolle spielen. Ferner gibt es Hinweise, dass Psychopharmaka möglicherweise eine protektive Rolle einnehmen und einen Krankheitsausbruch abmildern können. Zudem wird vermutet, dass bestimmte Antidepressiva bei der Behandlung von Corona-Patient:innen Wirkung zeigen könnten.

Widmet sich auch der Regensburger Lehrstuhl der einen oder anderen Fragestellung im Zusammenhang mit Long-Covid?

R.: Der Regensburger Lehrstuhl für Psychiatrie & Psychotherapie ist an NUM, dem nationalen Covid-Netzwerk der deutschen Universitätsmedizin mit mehreren Projekten beteiligt (www.netzwerk-universitätsmedizin.de). Long-Covid ist eines der Themen, aber beispielsweise auch bei der App-Entwicklung ist das Lehrstuhl-Team dabei.

Vielen Dank, Prof. Rupprecht!