Am Stück oder scheibchenweise

Mein medbo Tag in der Neuroradiologie

Digitale Bildgebung ist ein wesentliches Instrument in der Diagnostik und Behandlung neurologischer Erkrankungen. Was das konkret bedeutet, schaue ich mir heute live im Institut für Neuroradiologie am Bezirksklinikum Regensburg an.

Mit der Entdeckung der Röntgenstrahlung Ende des 19. Jahrhunderts fing es an: Der Arzt konnte endlich in das Innere eines Patienten schauen (es durchleuchten), ohne ihn erst aufschneiden zu müssen. Herkömmliches Röntgen liefert aber nur ein eindimensionales Summationsbild mit sich überlagernden Infos: Brustbein vor Lunge vor Wirbelsäule. Für Laien sind da nur dichte Strukturen wie Knochen und verschluckte Büroklammern erkennbar. Heute nutzt die moderne Radiologie ein ganzes Spektrum an Wellen: Röntgenstrahlen (Computertomografie, CT), Hochfrequenzfelder (Kernspintomografie), Schallwellen (Sonografie, Ultraschall). 

Bildgebung in der Diagnostik

In der Neuroradiologie ist es noch einen Tick komplizierter. Denn das Gehirn ist in einer harten Nuss unseren Schädeln – eingeschlossen. Aufmachen und Reingucken ist da nicht so ohne weiteres möglich. Antonio Schuller, Medizinisch-Technischer Radiologie-Assistent (MTRA) und EDV-Crack an unserem Regensburger Institut für Neuroradiologie, zeigt mir am Computer, worum es geht. Auf einem Monitor sehe ich zwei Schädel im Querschnitt, einmal von vorne, einmal von oben. „Die Bildgebung in einer modernen Neuroradiologie ist heute vollständig digital. Das heißt, die Bilder, die gemacht werden, werden nur noch in elektronischer Form aufgenommen, gespeichert und bereitgestellt“ sagt Schuller. 

Digitale Datenmengen

„Wir müssen die Aufnahmen gesetzlich zehn Jahre archivieren“ erzählt er mir. Früher hatte das Institut 16 raumhohe Datenschränke allein für die Röntgenfilme. Alle Fälle ordentlich abgeheftet in beschrifteten Taschen, sauber inventarisiert. „Heute brauchen wir Serverkapazität“ so Antonio Schuller und rechnet vor: „Ein Schädel-Röntgenbild hat etwa 12 MB Datenvolumen, eine einzelne CT-Schichtaufnahme hingegen knapp 500 kbit. Das komplette CT-Aufnahmeset umfasst allerdings im Schnitt 25 MB. Bei der Angiografie kommen wir auf ungefähr 176 MB bei einem einzigen Fall.“ Auch wenn dann nur ein Teil der generierten Bilder pro Fall archiviert wird:„Etwa alle eineinhalb Jahre brauchen wir ein Terabyte mehr Speicher. Zwölf haben wir derzeit. Eine Aufstockung steht kommendes Jahr an“ sagt Schuller. Und schon sind wir beim Thema Technologie. 

Vielschichtig

Bei modernen radiologischen Verfahren werden viele digitale Einzelbilder in hauchdünnen Abständen – beim CT in Körperlängsrichtung, beim MRT auch entlang einer beliebigen Achse durch den Körper – aufgenommen. Im Rechner werden die einzelnen Schichtbilder berechnet und dann zusammengesetzt. Schuller klickt auf eine Taste und der eine Schädelschnitt fängt an sich zu verändern. „Der direkte Nutzen – die Intelligenz – der Verfahren betrifft nicht nur die einfachere Archivierung. Die Bildinformation selbst ist viel wichtiger“ erklärt er mir. Mit der Maus steuert er den Bildablauf und sieht sich Schicht für Schicht die Aufnahmen des Gehirns an – wie in einem Film, den er vor- und zurücklaufen lassen kann. „Hier schauen wir von oben auf den Schädel. Gleich tauchen die Augen auf und dann die Nebenhöhlen, hier der Hirnstamm …“. 

Schwarz, Weiß, Grau

Die Bilder faszinieren mich: Man kann an jede beliebige Stelle im Schädel direkt hinsteuern. „Beim alten Röntgen mussten wir noch vorher festlegen, was wir unter die Lupe nehmen wollten. Hinter Knochen kann man halt nur sehen, wenn man ein zweites Bild mit anderer Perspektive macht“, erzählt mir Schuller. Er zeigt mir, wo ich hinschauen muss. Weiße, graue und schwarze Strukturen tauchen auf dem Bildschirm auf, werden größer, kleiner, verschwinden wieder. Es sind Knochen, Gewebe, Gefäße. Mittels Kontrastmitteln werden Blutgefäße und ihre Veränderungen sichtbar. Schuller: „Dieser kleine Knubbel ist das Problem. Bis dahin fließt Blut in der Hirnarterie, dahinter wird es im CT im wahrsten Sinne zapfenduster.“ Er schaut ernst, denn der Befund zeigt einen Gefäßverschluss, der einen schweren Schlaganfall verursachen kann.

In der Angio

„Kommen Sie mit, dann sehen Sie, wie wir digitale Bilder bei einer Intervention nutzen!“ Der Ärztliche Direktor des Instituts, Prof. Dr. Gerhard Schuierer, schaut herein. Der Patient, dessen Schädelinneres ich gerade gesehen habe, wird gleich „thrombektomiert“. Das Gerinnsel soll mittels eines Katheters entfernt werden, der dazu durch einen kleinen Schnitt in der Leiste über eine hirnversorgende Arterie direkt an die betroffene Stelle geschoben wird. Der Thrombus (= Gerinnsel) kann dort mit einer schlauchartigen Netzstruktur am Ende des Katheters eingefangen und gleichzeitig über einen größeren Katheter angesaugt werden.

Live-Bilder aus dem Gehirn

Der Patient ist natürlich unter Narkose, wird beatmet und durch einen Anästhesisten überwacht. Hinzu kommen Antonio Schuller, eine weitere MTRA Kollegin und natürlich Prof. Schuierer. Alle tragen OP-Kleidung und Latexhandschuhe. Der Patient liegt auf einem höhenverstellbaren Tisch unter einem Gerät mit einem großen Monitor. „Das ist unsere Angiografieanlage“, erklärt Prof. Schuierer. Das Gerät zeigt mittels Kontrastmittel, das über einen in die Halsschlagader vorgeschobenen Katheter injiziert wird, live die Hirnblutgefäße.

Subtraktionsangiografie

Das bildgebende Verfahren heißt DSA (Digitale Subtraktionsangiografie). Dabei werden in Echtzeit Bilder berechnet, die nur die Gefäße zeigen. Diese Bilder können gespeichert werden und Bild für Bild oder in Dauerschleife als Film angesehen werden. Das Wort „Daumenkino“ kommt mir in den Kopf. Ich selber sitze übrigens hinter einer Mauer, ein Monitor am Schreibtisch neben mir zeigt die Angiogramme direkt an. Durch ein Sichtfenster kann ich das Team am Angiografietisch beobachten.

Minimalinvasive Intervention

Ich habe noch nie einen Operateur mit Skalpell in der Hand live gesehen. Der Schnitt in die Leiste, den Prof. Schuierer setzt, ist sehr klein. Einen halben Zentimeter, vermute ich. Es blutet auch, aber nicht schlimm. Ein etwa drei Millimeter breiter, elastischer Führungskatheter wird durch den Schnitt in das Gefäß eingeführt. Er ist in der Mitte hohl, so dass später feinere Drähte und Instrumente darin Platz haben. Der Professor schiebt ihn vorsichtig durch die Bauch- und Brustschlagader hoch und weiter in die Halsschlagader. Im Durchleuchtungsbild sehe ich, wie die Spitze des Katheters am unteren Bildrand auftaucht. „Die Röntgenröhre strahlt nicht ständig, sondern gepulst, und nur, wenn wir sehen wollen, wohin die Katheter laufen. So minimieren wir die Strahlung, die auf den Patienten einwirkt“. Prof. Schuierer ist voll konzentriert.

Geduldsspiel

Dann kommen zwei weitere, dünnere Katheter, die an beziehungsweise durch den Verschluss vorgeschoben werden, und der feine Draht mit dem Körbchen zum Einsatz. Alle Materialien sind maximal flexibel und können bis zu einem bestimmten Grad auch in sehr dünne und mäandernde Gefäße vorgeführt werden. Vor der verstopften Stelle sehe ich ein Gewirr von Adern, dahinter ist auf dem Monitor alles grau. Schuierer lässt sich jetzt in kurzen Abständen Aufnahmen vom System liefern. Er ist vorsichtig, denn das ist die diffizilste Phase: Es könnte sich etwas vom Gerinnsel lösen oder ein Gefäß perforiert werden. Dann droht eine Hirnblutung. Aber jetzt Achtung! – Das Ding ist im Netz! Plötzlich geht alles sehr schnell. Gerhard Schuierer zieht die Katheter und den feinen Draht samt Thrombus behutsam in den Führungskatheter. Auf dem Angiografiemonitor sehe ich, wie das Kontrastmittel die bislang verschlossenen Arterien des Gehirns wieder durchfließt. Der Führungskatheter wird aus der Arterie entfernt, der kleine Schnitt zugemacht. Schuierer zeigt mir später den Thrombus, der in einem Stück herauskam. Ein blutiges Klümpchen, kaum von der Größe eines Reiskorns. Ich bin erleichtert. Und völlig fertig.